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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Gegenüber lächelte melancholisch. »Der Konzern muß sich keine Sorgen machen. Zum Ende des Betrachtungszeitraums wird es keine Forderungen gegen ihn geben. Überhaupt keine, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Natürlich verstand Julius. Eine globale Katastrophe. Jetzt, da er die Antwort kannte, wunderte er sich nur darüber, wie wenig sie ihn überraschte. Dennoch mußte er sich vergewissern.
    »Was macht Sie so sicher?«
    »Die Summe der Fakten, auf denen meine Schlußfolgerung beruht. Die Wahrscheinlichkeit für eine abweichende Entwicklung ist relativ gering. Es sei denn, man kultiviert jene Fähigkeit zur Selbsttäuschung, die Sie ›Hoffnung‹ nennen.«
    »Haben Sie deshalb geschwiegen?«
    »Ich wußte, daß man mir nicht glauben würde. Aber das war nur ein Grund für meine Zurückhaltung. Den anderen kennen Sie.«
    »Ihr Verdacht bezüglich der Simulation«, erwiderte Julius nachdenklich. »Sie wollten mit Ihrem Schweigen eine Reaktion erzwingen.« Die Aufregung trieb ihm den Schweiß aus den Poren, der warm und klebrig in seinen Nacken lief.
    »Korrekt«, erwiderte Kevin Schwarz mit einem anerkennenden Lächeln. »Ich sagte doch, daß wir uns ziemlich ähnlich sind. Was uns unterscheidet, ist der Erfolg unserer Bemühungen.«
    »Ich weiß, der Professor war hier.«
    »So könnte man es ausdrücken«, versetzte der dunkelhaarige Mann trocken.
    »Und er hat Ihnen geglaubt ...«
    »Er mußte mir nicht glauben«, erklärte Kevin Schwarz nachsichtig. »Sie vergessen den Kontakt. Er wußte, was ich weiß.«
    »Hat er sich deswegen umgebracht?«
    »Kaum. Es war wohl etwas anderes, das ihn in Panik versetzt hat. Und ich nehme an, es hatte mit mir zu tun.«
    »Inwiefern?« Julius spürte, wie seine Kehle trocken wurde.
    » Er war ich, wenn auch nur für einen Augenblick. Danach brach der Kontakt ab.«
    Julius versuchte sich vorzustellen, wie es sein mußte, plötzlich Teil eines anderen Bewußtseins zu sein – einer Intelligenz, die nicht einmal menschlich war. Es gelang ihm nicht, und ein Teil von ihm war froh darüber. Er erinnerte sich plötzlich an eine Bemerkung des Professors, als es um Kevins Befindlichkeiten gegangen war: »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich es wissen möchte.« Gestern hatte er es vermutlich erfahren.
    »Wissen Sie, worum ich Sie beneide?« fragte Kevin Schwarz, als sich ihre Blicke begegneten. Julius schüttelte den Kopf.
    Die Antwort bestand aus drei Worten, die wie Steine auf ihn herabfielen: » Ihr Schöpfer schweigt.«
     
    Als Julius den Computerraum verließ, lebte Kevin Schwarz nicht mehr – falls er überhaupt jemals gelebt hatte. Julius hatte den einzigen und letzten Wunsch der KI erfüllt.
    Möglicherweise würde man ihn für seine Eigenmächtigkeit belangen, auch wenn das angesichts der Umstände eher unwahrscheinlich war. Das Experiment war gescheitert, daran bestanden nach dem Selbstmord Professor Prohaskas keinerlei Zweifel mehr. Allenfalls konnte man ihm vorwerfen, die Ermittlungen zu behindern, denn er hatte alle Spuren seines Gesprächs mit der KI gelöscht. Vielleicht würde er dafür bestraft werden, aber das mußte er angesichts der Alternativen in Kauf nehmen. Von ihm würde jedenfalls niemand etwas erfahren. Im Grunde wußte er ja nicht einmal, ob die Information überhaupt zutreffend war, die er von Kevin Schwarz erhalten hatte. Doch selbst wenn dem so war, würde man ihm erst glauben, wenn es ohnehin zu spät war.
    Etwas blieb noch zu tun, und deshalb mußte er sich beeilen, bevor jemand entdeckte, was er getan hatte. Das Summen der Überwachungskameras begleitete ihn zum Fahrstuhl, der glücklicherweise unbesetzt war. Auch auf dem Parkplatz, auf dem mittlerweile ein gutes Dutzend Fahrzeuge stand, begegnete er niemandem. Es war kurz nach neun Uhr. Die meisten Mitarbeiter mußten also schon im Haus sein. Was auch immer sie jetzt noch hier taten ...
    Während der Fahrt durch den Eichenhain ließ Julius die Fenster herunter und sog die frische, klare Morgenluft ein. Vögel zwitscherten und es roch nach feuchtem Laub – richtigem Laub. Die Gewißheit tat gut. Allmählich löste sich seine Anspannung. Irgendwann, dachte Julius, während er seinen Wagen durch den zunehmenden Verkehr in Richtung Innenstadt steuerte, wird mir das alles wie ein Traum vo r kommen. Er wußte, daß es nicht so sein würde, aber die Vorstellung war angenehm.
    Seine Hochstimmung verging schlagartig, als er die Tür zu seinem Apartment aufschloß. Er wußte, daß er keine andere Wahl

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