Die Schatten des Mars
er, daß die Anwesenheit dieses Geschöpfes kein Zufall sein konnte. Wenn seine Träume einen realen Hintergrund hatten, woran Julius mittlerweile kaum noch zweifelte, dann war auch der gelbäugige Hund Teil dieser Realität. Dagegen sprach zwar der Umstand, daß es auf dem Mars keine Tiere gab, zumindest nicht außerhalb der Schutzkuppeln, aber das galt natürlich nur für Geschöpfe aus Fleisch und Blut.
Je länger er darüber nachdachte, desto plausibler erschien Julius die Vorstellung, daß der vermeintliche Hund ein kybernetisches Konstrukt war, vielleicht sogar ein Nachfahre all der Foxis, Felinas und Teds, die er in den letzten Jahren entworfen hatte. Möglicherweise rührte das Gefühl der Vertrautheit, das er in seinen Träumen empfunden hatte, daher, daß es tatsächlich seine eigene Schöpfung war, die ihn auf diesen Streifzügen begleitete.
Natürlich war diese These abenteuerlich, setzte sie doch voraus, daß er in seinen Träumen Dinge sah und erlebte, die erst in der Zukunft stattfinden würden. Unabhängig davon traute sich Julius durchaus zu, einen an die Mars-Bedingungen angepaßten biomechanischen Spürhund zu konstruieren. Die technischen Probleme waren sicherlich beherrschbar, und zumindest die Steinsucher würden für das Angebot dankbar sein. Vermutlich würde er damit nicht reich werden, aber darauf kam es nicht an. Es war eine Chance, vielleicht die letzte, die er in seinem Leben bekam. Julius wußte, daß es wehtun würde, Marienthal mit all seinen Erinnerungen zu verlassen. Dennoch war er fest entschlossen, dem Ruf zu folgen, auch weil er ahnte, daß sich hinter seinem Fernweh ein Schimmer Hoffnung verbarg – einer Hoffnung, die er sich hütete, in Worte zu kleiden ...
Ein halbes Jahr später, am 28. August 2055, stand Dr. Julius Fromberg auf der Besucherplattform der Einheit 200A des Kosmodroms Baikonur und beobachtete durch die Panoramascheibe die Startvorbereitungen. Hinter ihm stand Gennadi Jaschkin, ein ehemaliger Fallschirmjäger, den Julius auf Anraten der Fluggesellschaft als Transportbegleiter angeheuert hatte. Ohne diesen Service wäre Julius‘ »Reisegepäck« – ein knapp zwei Tonnen schwerer Container mit Maschinen, Meßgeräten und Halbfabrikaten – wohl kaum pünktlich und vor allem unversehrt am Bestimmungsort eingetroffen. Im Grunde war Jaschkins Mission damit beendet, doch der Russe hatte darauf bestanden, seinen Schutzbefohlenen bis zum Start zu begleiten.
Das Raumschiff, ein modifizierter Angara-100-Transporter aus den zwanziger Jahren, war kleiner, als Julius erwartet hatte. Zwischen den klobigen Servicetürmen wirkte es trotz seiner zweihundert Tonnen Gewicht beinahe fragil. Dennoch galt dieser Typ als extrem zuverlässig, was neben den vergleichsweise günstigen Frachttarifen für Julius Grund genug gewesen war, sich auf das Abenteuer Baikonur einzulassen. Der Flug über Moskau war problemlos verlaufen, und er hatte sogar das vorgebuchte Zimmer im Hotel »Sputnik« bekommen. Geschlafen hatte er allerdings kaum, was nicht nur mit dem bescheidenen Komfort seiner Unterkunft zu tun hatte. Vielleicht waren es die ungewohnten Geräusche gewesen, der Maschinenlärm und das dumpfe Grollen der näherrückenden Front, die ihn wachgehalten hatten, vielleicht aber auch die Ungewißheit angesichts dessen, was ihn am Ziel seiner Reise erwartete ...
Ein Signal ertönte. Die Passagiere wurden in die Transfereinheit gebeten. Julius sah auf die Uhr: Noch zwei Stunden bis zum Take-Off. Vor der Schleuse verabschiedete er sich von seinem Begleiter. Der Russe grinste und klopfte Julius auf die Schulter.
»Charoschij Poljot, Doktor Fromberg. Wußten Sie im übrigen, daß die Leute dort oben schon einen Spitznamen für Sie haben?«
»Wie bitte?«
»Ja, tatsächlich. Auf dem Mars sprechen sich die Nachrichten schnell herum. Vor allem vertrauliche wie der Inhalt von Passagierlisten. Und Sie sind immerhin der Mann, der die Gemkys entwickelt hat. So etwas imponiert den Leuten. Wissen Sie, wie man Sie dort nennt?«
»Nein ... natürlich nicht«, murmelte Julius verlegen.
»Toyman«, lächelte der Russe und setzte in gebrochenem Deutsch hinzu: »Spjiel-zeug-mann.«
Noch bevor sein Auftraggeber etwas erwidern konnte, wandte er sich ab und war Augenblicke später verschwunden.
Julius schaute ihm verwirrt hinterher , doch dann erinnerte er sich an etwas und mußte unwillkürlich lächeln. Einen Augenblick lang sah er den goldbraunen Plüsch-Teddybären ganz deutlich vor sich. Er
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