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Die Schatten des Mars

Die Schatten des Mars

Titel: Die Schatten des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Der einzige, der ein Motiv hatte, war Tomkin. Die Frage war also nur, wer ihm dabei geholfen oder weggeschaut hat.«
    »Welcher Tomkin?« Der Name sagte Miriam zwar etwas, aber die Erinnerung war nicht konkret genug.
    »Dr. Michael Tomkin, Ex-Entwicklungschef bei LT – früher selbst ein ganz passabler Spieler, zweimal sogar weißrussischer Meister, aber nie ein wirklicher Spitzenmann. Irgendwann ist er dann in die Staaten emigriert, und als ich das nächste Mal von ihm etwas gehört habe, war er bereits bei Laurentis. Für welches Projekt er dort verantwortlich war, können Sie sich vermutlich denken ...«
    »Mighty Joe?«
    »Korrekt.«
    »Und dieser Tomkin haßte Sie, weil Sie seine Wundermaschine geschlagen haben?«
    »Deswegen auch, aber mehr noch, weil es gegen die Absprache war.«
    Die Selbstverständlichkeit, mit der Borodin etwas derart Ehrenrühriges zugab, irritierte Miriam. Der Mann, der ihr gegenübersaß, hatte sein früheres Leben anscheinend nicht nur räumlich weit hinter sich gelassen.
    Sie fragte nicht weiter, sondern nippte schweigend an ihrem Teeglas, bis sich ihr Gegenüber zu einer Erklärung durchgerungen hatte.
    »Ich hatte mich nur darauf eingelassen, weil ich mir selbst keinerlei Chancen ausgerechnet hatte. Maschinen spielen ja nicht wirklich, sie arbeiten – inspirationslos, aber gründlich und unter Ausschaltung jeglicher Risiken. Die kleinste Ungenauigkeit, und man ist verloren. Alles lief nach Plan bis zu dieser verfluchten zwölften Partie. Im Grunde war es Wahnsinn, in dieser Position die Qualität zu opfern. Aber ich konnte nicht anders. Es war wie ein Rausch; ein Zug ergab den nächsten, und plötzlich stand dieses Multimillionending tatsächlich auf Verlust – dreißig Jahre, nachdem zum letzten Mal ein Mensch dieses Duell gewonnen hatte ... Daß ich Tomkin damit ruiniert hatte, wurde mir erst klar, als die Siegesfeier schon im Gange war. Es war mir natürlich unangenehm, aber ...« Er brach ab und starrte zum Fenster hinaus in die Nacht.
    »Das ist noch nicht die ganze Geschichte«, sagte Miriam nach einer Weile.
    Borodin nickte und nahm einen kräftigen Schluck Tee, als müsse er etwas hinunterspülen.
    »Nein«, sagte er dann betont gleichmütig und lehnte sich zurück. »Aber der Rest hat nichts mehr mit Schach zu tun, höchstens im Sinne eines erfolgreichen Bauernopfers ... Als ich wieder ansprechbar war und man mir so schonend wie möglich die offizielle Version beibrachte, wußte ich sofort, wie es gelaufen war. Ich brauchte Tomkin nicht mehr zu suchen, denn das Ganze konnte nur funktionieren, wenn die wirklichen Täter aus dem Spiel waren – eliminiert – wie man in Ihren Kreisen wohl sagen würde, Mrs. Green.«
    Miriam spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg, doch bevor sie etwas einwenden konnte, fuhr Borodin fort: »Ich habe natürlich trotzdem Erkundigungen eingezogen. Tomkin war tatsächlich tot. Angeblich hat er sich in einem Hotelzimmer die Pulsadern aufgeschnitten, zwei Tage nach dem Anschlag.«
    »Und was haben Sie getan, nachdem Sie das erfahren hatten?«
    »Nichts.« Der Russe lächelte melancholisch. »Ich habe gewartet, bis ich nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen war. Und dann bin ich gegangen.«
    »Und warum auf den Mars? Sie hatten doch nichts zu befürchten?«
    Borodin antwortete nicht sofort. Er schien Miriams Anwesenheit vergessen zu haben, und auf seinem Gesicht lag ein träumerischer, fast entrückter Ausdruck.
    »Bilder«, sagte er dann mit seltsam traumverlorener Stimme. »Sie waren auf einmal da. Ich brauchte nur die Augen zu schließen. Auf den ersten Blick hatten sie gar nichts Besonderes, diese Landschaften – Sand, Geröll und Felsen, so weit man sehen konnte. Nur das Licht war anders, weniger aufdringlich. Und es gab keine Menschen dort, kein Haus, keine Straße, nicht einmal einen verwehten Fußabdruck im Sand. Sie gehörten nicht dazu. In gewisser Weise waren sie nicht einmal vorstellbar ...«
    »Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Miriam leise.
    »Vielleicht«, erwiderte der Mann, ohne die Stimme zu heben, »obwohl Sie sich kaum vorstellen können, was das damals für mich bedeutete. Ich wollte niemanden mehr sehen, und so war es ein Ausweg – der einzige.«
    Miriam schwieg. Unwillkürlich fragte sie sich, ob es überhaupt etwas gab, das sie gemeinsam hatten. Allmählich zweifelte sie daran. Aber vielleicht war es ja gerade das, was Borodin ihr klarzumachen suchte ...
    »Jetzt sind Sie enttäuscht«, brach der Mann schließlich

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