Die Schatten eines Sommers
Hannas Plan?»
«Hannas Plan?!» Ich schüttelte heftig den Kopf, sodass meine Haare, die ich leicht aufgehellt und zu sanften Locken geformt hatte, hin und her flogen. «Quatsch, ich hab nur so rumprobiert. Weil ich endlich mal sturmfreie Bude habe. Meine Eltern sind bei einer Silberhochzeit, und Katharina hat natürlich gleich die Gelegenheit genutzt, um bei ihrem neuen Freund zu übernachten.»
Dorit grinste. «Und da dachtest du, du könntest mal in ihrem Kleiderschrank und ihren Schminktöpfen fischen …»
Ich nickte. «Genau, hat einfach Spaß gemacht. – Na los, lass uns fahren. Wir sind spät dran.»
Natürlich war meine Eile völlig unnötig. Dorit und ich waren die Ersten am Treffpunkt, wie immer. Aber als Fabienne und kurz darauf Hanna eintrafen, zeigten sich beide von meiner Aufmachung ähnlich beeindruckt wie Dorit. Und ich genoss ihre Bewunderung in vollen Zügen. Schließlich kam es selten vor, oder eigentlich nie, dass ich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand.
Hanna hatte im Schneidersitz auf der Wiese gehockt, Gänseblümchen zerrupft und mich ähnlich aufmerksam gemustert wie zuvor Dorit. Nur dass Hannas Blick fast … sachlich war, so als taxiere sie ein abstraktes Gemälde, um seinen Wert festzustellen. Schließlich hatte sie genickt. «Doch, das müsste funktionieren! Wenn Arne darauf nicht anspringt, weiß ich auch nicht …» Sie wandte sich an Dorit. «Oder steht er nicht auf jung und blond?»
Dorit hatte unsicher mit den Achseln gezuckt. «Also, ich weiß nicht …» Sie kicherte. «Ich höre zwar, dass bei ihm und Mama im Schlafzimmer einiges abgeht. Aber auf was er genau steht …» Sie schüttelte sich angewidert. «Na ja, meine Mutter ist ja auch eher zierlich, und blond ist sie auch. Ich könnte mir also durchaus vorstellen, dass Arne auf Marie anspringt – also wenn sie sich so zurechtmacht, meine ich …»
«Alles klar!» Hanna klatschte in die Hände.
«Hey, wartet mal!» Ich war aufgesprungen und blickte von einer zur anderen. «Das könnt ihr doch nicht einfach so über meinen Kopf hinweg entscheiden! Ich hab doch noch gar nicht ja gesagt!»
Den Blick, den Hanna mir zuwarf, ihr ironisches Lachen, hatte ich nie vergessen. «Aber natürlich hast du ja gesagt, Marie! Warum hast du dich denn sonst so aufgebrezelt …?»
Ich spürte, wie ich unter meiner Schminke knallrot anlief. Hanna hatte ins Schwarze getroffen, wie immer. Die Sache war entschieden.
Die Vorbereitungen waren schnell getroffen. Hanna zeigte mir, was ich sagen, wie ich vorgehen, mich bewegen sollte. Schmollmund, lasziver Blick, fallender Ausschnitt, hochrutschender Saum … das ganze Programm. Für Hanna war es Routine. Und ich folgte ihren Anweisungen. Fabienne und Dorit gaben das kritische Publikum, aber sie hatten wenig zu beanstanden. Denn ich spielte meine Rolle gut, sehr gut sogar. Und ich genoss ihren Applaus, ebenso wie Hannas Verblüffung, ihre verwunderte Anerkennung meiner Lolita-Qualitäten. O ja, das hässliche Entlein war zum stolzen Schwan mutiert. Für ein paar Augenblicke war ich vollkommen glücklich.
Unser Plan war so schlicht wie genial: Dorit hatte uns erzählt, dass Arne jeden Abend gegen sechs Uhr eine Stunde joggen ging. Er lief immer die gleiche Strecke, durch das Beerenböker Holz zum See hinunter und zurück. Ich musste ihn nur irgendwo abfangen. Fabienne war diejenige gewesen, die den idealen Ort für unser kleines Schauspiel ausgeguckt hatte: eine Felsgruppe am See, die Stelle war vom Weg aus nicht zu sehen, Arne würde um die Kurve biegen und dann fast über mich stolpern. Es war ideal. Im Grunde konnte gar nichts schiefgehen.
Wir beschlossen, nicht mehr zu warten. Gleich am nächsten Tag sollte die Sache über die Bühne gehen. In der Nacht lag ich wach und stellte mir die Szene, die ich zu spielen hatte, wieder und wieder vor, in allen möglichen Varianten. Ich bereitete mich so gut wie möglich vor.
Dennoch klopfte mein Herz wie verrückt, als ich mich am nächsten Tag für meinen Auftritt zurechtmachte. Ja, als einen einzigen großen Auftritt hatte ich meine Rolle damals betrachtet. Und ehrlich gesagt keine Sekunde daran gedacht, was das eigentliche Ziel der ganzen Aktion war. Es war mir völlig egal gewesen, ob Arne tatsächlich die Ehe von Dorits Eltern zerstört hatte und sich jetzt im Bett ihrer Mutter und damit auch in Dorits Leben breitmachte. Das Einzige, was mich interessierte, war meine Rolle: Würde ich gut sein? Die Erwartungen der anderen erfüllen
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