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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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können? Es musste einfach klappen!
    Als ich zum See radelte, waren meine Hände trotz der Hitze eiskalt, und ich zitterte vor Aufregung am ganzen Körper. Die Schminkerei und das Frisieren hatten länger gedauert als geplant. Dieses Mal war ich nicht die Erste. Die anderen erwarteten mich schon ungeduldig. Es war wie an einem Filmset. Fabienne hatte sich mit ihrer Kamera hinter einem Gebüsch postiert und stellte den Zoom ein. Hanna überprüfte hektisch mein Make-up und zupfte an meinem Outfit herum, während Dorit nicht aufhören konnte, hysterisch zu kichern. Endlich tippte Fabienne auf die Uhr. «Es wird Zeit. Du solltest dich auf deine Position begeben, Marie!»
    Ich nickte. Meine Kehle war so entsetzlich trocken, dass ich fürchtete, gleich kein Wort herauszubringen. Einer plötzlichen Eingebung folgend, lief ich die paar Schritte zum See hinunter, schöpfte mit den Händen Wasser und ließ es über meinen Oberkörper laufen. Das hatte ich mal in einem Film gesehen. Die Wirkung war tatsächlich beeindruckend. Der dünne Stoff der Tunika klebte an meinem Körper, das kühle Wasser ließ meine Brustwarzen hart werden und deutlich hervortreten. Stolz sah ich an mir hinunter. Ich wirkte nackter als nackt. Es war perfekt. Ich bauschte mein Haar auf und drapierte mich auf dem Joggingpfad, als sei ich beim Klettern von den Felsen gerutscht und hilflos liegen geblieben. Ich zog die Tunika so weit nach oben, dass meine Beine perfekt zur Geltung kamen, und befeuchtete meine Lippen.
    Dann wartete ich.
    Wie eine Spinne im Netz auf ihr Opfer.

[zur Inhaltsübersicht]
    FABIENNE
    Nachdem Marie ihren Mageninhalt so damenhaft in Wolffs Obstgarten entleert hatte, wischte sie sich mit einem Taschentuch den Mund sauber und rang um Fassung – und um unsere Anerkennung. Der entschuldigende Blick, der von Hanna zu mir glitt und wieder zurück zu Hanna, sagte nichts anderes als: «Ihr mögt mich doch trotzdem, oder?» Obwohl sie sich auf den ersten Blick zu einer souveränen, attraktiven Frau entwickelt hatte, war ihr ganzes Bestreben immer noch darauf gerichtet, anderen zu gefallen. Und genau wie früher fand ich sie in ihrem sehnsuchtsvollen Bemühen auch irgendwie sympathisch. Sie löste eine Art Beschützerinstinkt in mir aus, ganz anders als Dorit.
    Jetzt saß sie uns gegenüber, aufrecht im Schneidersitz, den sie wahrscheinlich in jahrelangen Yogastunden perfektioniert hatte, und nestelte eine Zigarette aus ihrer halbleeren Packung. Während sie rauchte, lächelte sie Hanna und mich fast schüchtern an. Auf eine anrührende Weise war sie immer noch die hübsche, unschuldige Marie von damals. Sie war die perfekte Lolita gewesen. Keine von uns hätte diese Rolle so überzeugend spielen können wie sie.
    Im Dämmerschein der Mondnacht sah Marie kaum anders aus als das junge Mädchen, das damals die Verführerin gespielt hatte. Woher hatte sie nur den Mut genommen, sich derart zu präsentieren? Es schien ihr regelrecht Spaß gemacht zu haben. Ich weiß noch, dass ich ihr mit dem Taschentuch den Lippenstift abwischte, den sie viel zu stark aufgetragen hatte. Immerhin war es früh am Abend und Marie angeblich unterwegs, um Sport zu machen. Wahrscheinlich war ihr gar nicht bewusst gewesen, wie sexy sie auch ungeschminkt in dem dünnen Hemdchen aussah.
    Während Marie auf dem Joggingpfad saß, den Rücken an den Felsen gedrückt, den Kopf in den Nacken gelegt und den Mund in angeblichem Schmerz halb geöffnet, saßen Hanna, Dorit und ich hinter einer Rhododendronhecke. Wir sprachen kein einziges Wort. Mein Herz hämmerte. Immer wieder schaute ich durch den Sucher, stellte den Zoom ein, zog das Objektiv zum Weitwinkel auf, hielt die ganze Szenerie fest. Den Waldweg mit dem See im Hintergrund, den Felsen mit Marie, ihre nackten langen Beine, das weiße Hemd, ihre blonden Haare, die ihr über die Schulter fielen. Dann zoomte ich wieder ran, auf ihre Brust, ihr schmerzverzerrtes Gesicht, machte ein paar Fotos. Das Klicken meiner Spiegelreflexkamera kam mir viel zu laut und verräterisch vor. Dabei war es ausgeschlossen, dass man das Geräusch beim Felsen hören konnte. Unterdessen starrte Hanna in die Richtung, aus der Arne auftauchen würde. «Er läuft fast immer die Runde am See», hatte Dorit gesagt. «Bei jedem Wetter.»
    Und so war es tatsächlich. Wir hatten kaum zehn Minuten gewartet, da kam er, in enganliegendem, nassgeschwitztem T-Shirt und schwarzer Trainingshose. Ein gutaussehender Typ, der sicher ein paar Jahre jünger war

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