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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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in die peinliche Stille hinein. Und dann packte Hanna Marie wieder beim Arm und zog sie in den dunklen Garten.

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    HANNA
    Ich hatte noch nie ein Problem mit Exzentrikern. Auffällige Kleidung, bizarres Verhalten, sonderbare Reden – wunderbar! Maries Ausfall allerdings gehörte in die Kategorie «Graue Maus betrinkt sich und verliert die Kontrolle». Die Art, wie sie ein Glas Prosecco nach dem anderen hinunterstürzte, hätte mich stutzig machen sollen. Bei der Beerdigung hatte ich mich von Maries Erscheinung und ihrem souveränen Auftreten blenden lassen. Sie schien mir eine andere geworden zu sein. Aber ich hatte mich geirrt. Oder heute Abend war etwas geschehen, das ihre neu gewonnene Selbstsicherheit ins Wanken gebracht hatte. Die Art, wie sie sich betrank, erinnerte mich an die verzweifelten Hausfrauen, die ich aus amerikanischen TV -Serien kannte. Frauen, die sich mit Schlaftabletten, Aufputschmitteln oder Alkohol über ihre Selbstzweifel hinweghalfen.
    Maries Flirt mit Wolff entgleiste zunehmend. Sie hatte eindeutig etwas anderes vor, als den Abend mit Fabienne und mir zu beschließen. Wolff und sie fühlten sich offensichtlich gestört, als ich zu ihnen trat, aber das war mir egal. Als Marie kichernd schwankte und sich mit der Hand auf Wolffs Brust abstützte, packte ich ihren Arm. «Zeit zu gehen. Wir haben noch was vor.»
    Sie protestierte so laut, dass alle auf uns aufmerksam wurden.
    «Reiß dich zusammen», flüsterte ich ihr zu. «Du hast es doch wohl nicht nötig, mit diesem alten Sack zu bumsen.»
    Die gespannte Stille der anderen umhüllte uns, während Marie mich mit sich überschlagender Stimme anschrie und ich sie von der Terrasse in den Garten zerrte. Es war gut, dass ich so viel stärker war als sie. Sie stolperte hinter mir her, fluchte, befahl mir, sie loszulassen, knickte um, aber ich schleppte sie weiter. Wolffs Garten war riesig. Ich stapfte weiter und weiter, unter Obstbäumen hindurch, bis wir an einem kleinen Wall anlangten, der den Garten vom angrenzenden Kornfeld trennte. Erst hier ließ ich Marie los und stieß sie in die Richtung eines großen Kirschbaums.
    «Kotzen!», befahl ich.
    Ich hatte noch nie in meinem Leben jemanden gesehen, der sich so elegant übergeben konnte wie Marie. Aufrecht stand sie in Wolffs mondbeschienenem Garten, stützte sich mit einer Hand graziös am Stamm des Baumes ab, beugte sich nur ein klein wenig vor und spuckte in hohem Schwall, fast lautlos.
    Während sie sich fast unhörbar leer spuckte, trat Fabienne neben mich. Ich hatte nicht gemerkt, dass sie uns gefolgt war. «Hübsch», bemerkte sie ironisch. «Sehr stilvoll.»
    Einen kurzen Moment lang grinsten wir uns an, und die alte Vertrautheit schien wieder da zu sein.
    «Warum hast du sie nicht gelassen?», fragte sie leise. «Sie wollte es dir doch so gerne zeigen.»
    «Was zeigen?»
    «Na, dass sie Wolff haben kann. Der war doch scharf auf dich. Damals. Und du hast ihn auflaufen lassen.»
    Ich schüttelte den Kopf. Ich erinnerte mich nur an sehr wenige Männer in meinem Leben. Alle anderen sortierte mein Unterbewusstsein gnadenlos aus. Immerhin wusste ich jetzt, warum Wolff mich heute so konsequent ignoriert hatte.
    Marie war zäh. Nur einen Augenblick, nachdem sie sich erleichtert hatte, straffte sie die Schultern und wandte sich mir mit hocherhobenem Kopf zu. «Du zwingst mich zu gar nichts mehr!»
    Ich wollte es nicht, aber ich musste auflachen. «Also, eben gerade habe ich dich immerhin gezwungen zu kotzen, oder etwa nicht?»
    «Das Spiel ist vorbei, Hanna! Das läuft nicht mehr nach deinen Regeln!»
    Es war seltsam, das zu hören. Es war immer ein Tabu gewesen, die Machtverhältnisse zwischen uns vieren auszusprechen. Fabienne hatte sich ein Stück weiter auf den Rasen gesetzt und klopfte auffordernd neben sich. «Kommt», bat sie besänftigend.
    Ich setzte mich neben sie. Der Boden war trocken. Die wochenlange Hitze hatte das Gras verbrannt und die Erde ausgedörrt. Marie blieb noch eine Zeitlang unschlüssig stehen, bis sie sich endlich uns beiden gegenüber niederließ und in den sternenklaren Himmel schaute. Fabienne und ich saßen mit dem Rücken zum Haus und blickten über das weite Kornfeld. Der Mond schien hell, es war still, nur ein paar Grillen zirpten. In der Ferne lag ein Wäldchen und irgendwo dahinter der Lupiner See.
    Keine von uns sagte ein Wort. Es war das erste Mal seit siebenundzwanzig Jahren, dass wir unbeobachtet wieder zusammen waren. Ich war die

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