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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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von Dorit», forderte ich ihn auf und schob seine Hand weg. «Ich hab sie ewig nicht mehr gesehen.»
    «Frauen!» Er schnaufte. «Untreue Hühner.»
    «Aber immerhin warst du nicht untreu. Du hast dich um Dorit gekümmert, oder?»
    Er grunzte widerwillig. «Sie hat mich gefragt. Wegen der Karten, die ich kriege. In meiner Position, verstehst du … für Konzerte, also klassische Konzerte. Nicht so mein Ding, aber Dorit fand das gut. Aber wir waren auch mal in Hamburg.
König der Löwen
. Kennst du das?»
    «Ich wohne in Berlin, Mirko. Da gibt es massenweise Musicals. Ich hasse Musicals.»
    «Zu wenig anspruchsvoll für dich, oder was?» Er wollte weiter über Musicals reden, über Berlin, über Frauen im Allgemeinen. Irgendwann hatte ich genug. «Dorit!», forderte ich ihn energisch auf. «Ich will wissen, was mit dir und Dorit war!»
    Er stockte kurz, bevor sich seine Pranken überraschend schnell und schmerzhaft um meine Handgelenke schlossen.
    «Du willst überhaupt nichts, Madame!», fuhr er mich mit zusammengebissenen Zähnen an und fixierte mich mit plötzlicher Feindseligkeit. «Ich war freundlich zu ihr, mehr nicht. Das war ein Deal auf Gegenseitigkeit. Alles klar?! Und jetzt zisch ab!»
    Er ließ mich los und stieß mich dabei so grob von sich, dass ich fast hingefallen wäre. Dann wankte er auf die Terrasse hinaus.
    Ich hatte genug. Eigentlich hatte ich zu viel getrunken, um noch Auto zu fahren, aber es war mir egal. Ich verabschiedete mich von niemandem. Auf der Fahrt zurück zum Hotel versuchte ich zu sortieren, was Mirko mir erzählt hatte. Aber es gelang mir nicht.

[zur Inhaltsübersicht]
    MARIE
    Wolff hatte den Arm um mich gelegt und führte mich zurück ins Haus. Es schien ihn nicht zu stören, dass fast alle uns mehr oder minder unverhohlen beobachteten: amüsiert oder sensationslüstern die einen, mit moralischer Entrüstung die anderen.
    Ich versuchte die Blicke, die Wolff und mich streiften, zu ignorieren. Über was wunderten sich die Leute? Darüber, dass ich, die brave, unauffällige Marie von früher, hier so offensichtlich mit unserem ehemaligen Lehrer herummachte? Oder darüber, dass Wolff, der Frauenheld, sich mit mir «begnügte», anstatt sich wie damals an Hanna heranzumachen? Ich wusste ja selber nicht, wohin dieser seltsame Flirt führen sollte. Im Moment war ich nur froh, dem beklemmenden Zusammensein mit Hanna und Fabienne entronnen zu sein. Dabei hatte ich mich doch jahrelang danach gesehnt, mich mit den anderen auszusprechen, endlich offen über das reden zu können, was damals passiert war. Ich hatte mir vorgestellt, dass wir uns gegenseitig trösten würden, vielleicht sogar gemeinsam weinen konnten, um dann gestärkt und ein kleines Stück, ja,
geheilt
aus diesem Wiedersehen hervorzugehen. Wahrscheinlich war das naiv gewesen. Die letzten Stunden hatten mich eines Besseren belehrt: Nicht mal jetzt, nach Dorits Tod, ging es um Trost und Sühne, um Erklärungen und Verzeihen. O nein, stattdessen gab es Schuldzuweisungen und alberne Machtspiele, genau wie damals, jedenfalls zwischen Hanna und Fabienne. Und für mich war wieder einmal die Rolle des Publikums vorgesehen. Darauf konnte ich gut verzichten.
    Ich lehnte mich an Wolffs Brust. Er roch nach Azzaro, einem Duft, den er schon damals verwendet hatte. Seltsam, dass ich mich noch daran erinnerte. Bis auf einen kleinen Bauchansatz schien er noch immer eine ziemlich gute Figur zu haben. Wenn er auch nicht mehr so groß war, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Lag das daran, dass ich mich ihm jetzt ebenbürtig fühlte? Ich wischte den Gedanken rasch beiseite. Wieso dachte ich eigentlich immer «Wolff»? Und nie «Bernd»? Ich machte mir nichts vor: In unserem früheren Lehrer-Schülerin-Verhältnis lag natürlich der Reiz dieses seltsamen Flirts, der gerade gründlich ausuferte.
    Wolff lächelte mich an. «Noch ein Glas Prosecco, Marie?»
    Ich schüttelte heftig den Kopf. Lieber nicht. Nachher würde ich mich noch hier, in Wolffs Flur, vor noch mehr Publikum übergeben müssen. Aber eigentlich fühlte ich mich schon wieder ganz gut, wenn auch immer noch reichlich angeschickert. Oder brauchte ich dies als Rechtfertigung dafür, dass ich noch immer mit Wolff auf Tuchfühlung ging, anstatt mich schleunigst auf den Heimweg zu begeben? Egal. Ein bisschen Selbstbetrug war erlaubt. Heute jedenfalls, entschied ich.
    Wolff hatte die Hand auf meinen Rücken gelegt und dirigierte mich Richtung Treppe. «Kennst du eigentlich mein Haus, Marie? Nach

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