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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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dem Auszug meiner Frau habe ich oben komplett umgebaut und mir ein kleines Atelier eingerichtet.»
    Stimmt, eine Ehefrau hatte es ja damals auch gegeben! Aber bei Schulfeiern und ähnlichen Veranstaltungen war sie nie groß in Erscheinung getreten. Niemand hatte sie vermisst. Wolff wahrscheinlich am allerwenigsten.
    «Du hast ein Atelier?»
    Wolff nickte. «Ja, ich male schon seit einigen Jahren, Acryl und Aquarell. Willst du mal sehen?» Der Druck seiner Hand auf meinem Rücken verstärkte sich. Also gut, warum nicht? Ich ging die Treppe hinauf. Aus den Augenwinkeln sah ich Mirko aus dem Wohnzimmer kommen. Mit einem wissenden Grinsen verfolgte er unseren Abgang. Für einen Moment blieb ich unschlüssig stehen. Aber Wolff hatte sich an mir vorbeigeschoben und öffnete bereits die Tür zu seinem Atelier. «Kommst du, Marie?» Er zog mich ins Zimmer und schloss nachdrücklich die Tür. Dann deutete er auf die großformatige quadratische Leinwand, die auf einer Staffelei stand. «Schau, mein neuestes Werk!» Er lachte. «Es ist nichts Besonderes. Nur ein bisschen Gepinsel.» Er rückte die Staffelei ins Licht. «Gefällt es dir?» Der Ton seiner Frage machte nur allzu deutlich, dass er seine Malerei durchaus nicht nur für «Gepinsel» hielt. Ich starrte auf die halbnackten Frauenkörper vor einem Gewirr aus roten und schwarzen Flächen und überlegte verzweifelt, was ich Kluges oder Schmeichelhaftes dazu sagen könnte. «Also, es hat durchaus was», brachte ich schließlich hervor. «Die Farben gefallen mir und … äh …» Ich verstummte. Aber Wolffs Interesse an meinem künstlerischen Sachverstand war bereits erloschen. Er stand jetzt hinter mir, den einen Arm um meine Taille gelegt, während sich die Finger seiner anderen Hand langsam, aber zielstrebig höher tasteten. Ich rang nach Luft, überlegte für einen kurzen Moment, welchen BH ich heute trug. Hoffentlich nicht den praktischen hautfarbenen? Nein, Gott sei Dank, ich atmete hörbar auf.
    «Schön, dass du dich entspannst, Marie!», flüsterte Wolff in mein Ohr, während er begann, meine Brustwarzen zu streicheln. Mit der anderen Hand presste er meinen Körper an seinen Unterleib. Durch den dünnen schwarzen Stoff meines Rocks (o nein,
Leas
Rock!!) spürte ich deutlich seine Erregung, und ich konnte nicht anders: Ich genoss es. Seltsamerweise verspürte ich keinerlei Skrupel. Thomas, Lea, unser Zuhause – das alles schien unendlich weit weg zu sein. Was hier geschah, hatte mit meinem eigentlichen Leben nichts zu tun, hier ging es um Beerenbök und um früher. Und um Dorit. Mein Leben sollte nicht ereignislos vorbeiplätschern, so wie bei ihr. Musste man es nicht auskosten? Es konnte so furchtbar schnell vorbei sein …
    Längst hatte Wolff meine Bluse aufgeknöpft, meinen BH geöffnet. Jetzt drehte er mich zu sich herum, und während er seinen Mund in meiner Halsbeuge vergrub und mich küsste, schob er mich zu einem Sofa, das mir vorher gar nicht aufgefallen war. Noch während wir eng umschlungen darauf zustolperten, fragte ich mich, wie viele Frauen vor mir bereits in den Genuss von Wolffs Malkunst gekommen und anschließend auf diesem Sofa gelandet waren. Egal, es war egal. Ich versuchte, das Gedankenkarussell in meinem Kopf abzustellen. Den Augenblick zu genießen. Ich war eine begehrenswerte Frau. Eine Frau, die ihre Leidenschaft zuließ, die sich nicht um Konventionen scherte, um das, was andere von ihr dachten. Jedenfalls für heute Nacht.
    Wolff war geschickt und offensichtlich sehr erfahren. Die ganze Zeit, während wir uns liebten, wurde ich das Gefühl nicht los, dass die Liste meiner Vorgängerinnen recht lang war. Ob er mich mit ihnen verglich? Ich versuchte den Gedanken daran zu verdrängen und den Rausch, den ein anderer, ein fremder Körper in mir auslöste, zu genießen. Es war schon verrückt, wie Berührungen, die ich so oder ähnlich tausendmal zuvor mit Thomas erlebt hatte, mich plötzlich wieder erregten. Wolff ließ sich Zeit, und als ich zum Orgasmus kam, fühlte ich fast so etwas wie Stolz: Es war mir gelungen, den Sex zu genießen, nicht nur als billigen Triumph über Hanna und ihren Sexappeal von damals, sondern einfach so: als persönliche Erfahrung, als Abenteuer. Ich lauschte nach unten. Das Stimmengewirr war verstummt, nur die Musik lief noch. Miles Davis jetzt, Männermusik, anscheinend hatte irgendjemand den Endlosmodus eingestellt. Ich schaute auf die Uhr: halb drei. Waren die anderen einfach gegangen? Wahrscheinlich. Gut so.

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