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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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Ich verspürte keinerlei Lust, gleich beim Runterkommen dem bierselig grinsenden Mirko über den Weg zu laufen. Wolff neben mir atmete tief und gleichmäßig. War er etwa eingeschlafen? Ich hasste es, wenn Thomas direkt nach dem Sex einschlief. Die liebevolle Vertrautheit, die Gelöstheit danach genoss ich zumeist mehr als den Akt an sich. Nein, Wolff schlief nicht. Seine Fingerspitzen strichen zart über meine Hüfte. «Du hast die Figur eines jungen Mädchens, weißt du das?» Verdammt, er hatte wirklich eine aufregende Stimme, sonor und dunkel.
    Ich lächelte geschmeichelt. «Wenn
du
das sagst …»
    Er setzte sich auf. «Wie meinst du das?»
    «Na ja, du hast den ständigen Vergleich, oder? Schließlich bist du den halben Tag von süßen Siebzehnjährigen umgeben.»
    «Mag sein.» Er grinste schief. «Aber für die bin ich doch ein alter Sack …» Es klang wehmütig.
    «So schlimm?»
    Er zuckte die Achseln. «Ach, es ist, wie es ist, oder? Wir sind alle älter geworden. Aber dir sieht man die Jahre wirklich kaum an, Marie …» Er zog mich dichter an sich. Aber ich wollte jetzt nicht wieder von vorne anfangen, ich wollte reden. «Früher hast du mich kaum wahrgenommen. Da hattest du nur Augen für Hanna.» Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme einen verletzten Unterton hatte. Himmel, wurde ich denn nie erwachsen?
    Der Griff seiner Hand wurde fester. «Die Zeiten ändern sich, Marie. Und damals ging es nicht nur um Hanna. Ihr wart ein interessantes Quartett, ihr vier. Im Lehrerzimmer hat man sich immer wieder Gedanken darüber gemacht, was euch eigentlich zusammenhält. Verstanden hat es keiner so richtig.»
    «Ich hab es ja selbst nicht verstanden», murmelte ich. Plötzlich fiel mir etwas ein: «Hast du eigentlich zu Dorit Kontakt gehabt in den letzten Jahren? – Ich meine, ihr müsst euch doch immer mal über den Weg gelaufen sein, hier in Beerenbök.»
    Wolff zog den Arm, den er eben noch um meine Hüfte geschlungen hatte, zurück. «Klar haben wir uns mal gesehen. Sie hat mich sogar ein- oder zweimal hier besucht. Aber …» Er zögerte. «… eine Weile hatte ich das Gefühl, sie wollte etwas von mir. Und als ich nicht reagierte … Na ja, sie war irgendwie anstrengend.» Er lachte verlegen. «Sie wollte ständig wissen, ob ich auf meine Schülerinnen stehe, immer wieder fing sie damit an. Irgendwie schien sie zu glauben, dass quasi alle Männer auf Minderjährige abfahren. Davon war sie nicht abzubringen. Ich fand das fast ein bisschen … gestört.» Wolff fuhr sich durch die Haare. «Ehrlich gesagt, hab ich sowieso nie verstanden, warum sie hierher zurückgekommen ist. Oder besser gesagt: warum sie geblieben ist. Im Grunde hat sie doch ihr ganzes Leben ihrer Mutter geopfert.» Er sah mich aufmerksam an. «Dabei hatte ich früher nie das Gefühl, dass Dorit der Typ ist, der sich für andere aufopfert. Seltsam, oder?»
    Ich wich seinem Blick aus. Ich hätte Bernd Wolff mühelos erklären können, was Dorit dazu veranlasst hatte, sich «aufzuopfern». Es gab ein sehr einfaches, kurzes Wort dafür: Schuld.
    Aber natürlich schwieg ich. Und als er nach einer Weile erneut begann, seine Hände über meinen Körper wandern zu lassen, gab ich nach.
    Es war schon fast Morgen, als ich erwachte. Wolff neben mir schlief tief und fest. Gut so, ich hatte nicht vor, ihn zu wecken. Leise stand ich auf und schlüpfte in meine Sachen, die überall im Zimmer verstreut lagen. Meine Handtasche hatte ich schon an der Tür verloren. Als ich mich danach bückte, entdeckte ich die Bilder. Drei oder vier kleine Leinwände, sie lehnten an der Wand hinter der Tür, von einem Tuch verdeckt. Irgendetwas veranlasste mich, sie näher zu betrachten. Ich zog das Tuch beiseite. Und erschrak.

[zur Inhaltsübersicht]
    FABIENNE
    Ich gehöre zu den Menschen, die auch noch mit Anfang vierzig mühelos eine Nacht durchmachen können. Es ist ganz einfach eine Frage des Willens: Wenn man nicht müde sein möchte, dann ist man es auch nicht. Wenn man jung ist, gehört es quasi zum guten Ton, die Nächte ohne Schlaf zu verbringen und stattdessen mit der besten Freundin zu quatschen, obskure Partys zu feiern oder mit jemandem in verschwitzten, zerwühlten Laken Sex zu haben, bis der Morgen graut. Mit Hanna hatte ich einmal von sieben Uhr abends bis zum ersten Hahnenschrei – den es in Beerenbök tatsächlich gab – auf ihrem Bett gesessen und geredet. Über Gott und die Welt und unsere Zukunft, ich weiß nicht mehr genau, über was. Ich

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