Die Schatten eines Sommers
sich auf die Unterlippe und straffte die Schultern. «Egal», sagte sie.
In diesem Moment brachte die Kellnerin das Frühstück. Verblüffenderweise war es großartig. Knusprige Brötchen, frisch gepresster Orangensaft, sagenhafter Ziegenkäse und ein phantastischer Kaffee. Während wir uns aufs Essen konzentrierten, machte ich noch einen Anlauf.
«Ich hab Fabienne gefragt, ob sie vor Dorits Tod noch mit ihr gesprochen hat», sagte ich.
«Und?»
«Sie ist mir ausgewichen. Hat schnell das Thema gewechselt. Ich meine – was soll diese Geheimnistuerei? Dich hat Dorit doch auch angerufen, oder?»
Marie schüttelte den Kopf. «
Ich
habe Dorit angerufen. Aber …» Sie stützte den Kopf in die Hand und überlegte. «Doch, so war das: Dorit hat mir gesagt, dass sie unbedingt auch mit Fabienne sprechen will. ‹Fabienne wird wissen, was das Richtige ist›, hat sie gesagt.»
«Na also! Warum erzählt Fabienne uns nichts davon?»
Marie zuckte hilflos die Schultern. «Keine Ahnung. Vielleicht hat sie es … vergessen? Ich meine, sie hat bestimmt irre viel um die Ohren wegen ihrer TV -Show.»
«Quatsch! So einen Anruf vergisst man doch nicht! Das letzte Telefonat vor dem Tod? Nein, Fabienne ist klug. Sie lügt.»
«Sie lügt ja nicht direkt», wandte Marie ein. «Sie sagt nur nichts. Vielleicht … vielleicht darf sie nichts sagen. Pastoren haben doch auch eine Schweigepflicht, oder?»
«Das ist doch albern! Hör mal, sie hat gewusst, dass Dorit Asthma hatte. Hast du das gewusst?»
«Asthma? Das hatte sie dann aber noch nicht lange. Im Dorf hat das jedenfalls niemand gewusst. Sonst hätte meine Mutter mir das schon längst berichtet.»
Ich nickte. «Genau. Dorit muss es Fabienne also wohl selbst erzählt haben. Am Telefon. Soll sie uns doch zumindest mal sagen, ob und wann sie mit ihr gesprochen hat.»
Marie nickte. «Richtig.»
«Red du mit ihr», beschwor ich sie. «Mir sagt sie nichts. Aber du kannst sie knacken. Wenn sie nachher kommt, dann verzieh ich mich mal für eine Weile. Ich lasse mich von meiner Agentin anrufen, irgendwas Wichtiges. Okay?»
Marie stöhnte auf. «Ich weiß nicht …»
«Doch.» Ich legte ihr die Hand auf den Arm und sah ihr fest in die Augen. «Du machst das. Du kannst das.»
Abrupt erhob sie sich. «Ich muss zur Toilette.»
«Und ich bestell uns einen Sekt. Zum Lockerwerden.»
Als Marie verschwunden war, rief ich meine Agentin an und bat sie, mich in einer Viertelstunde zurückzurufen.
«Ich will nicht mit dir reden, ich brauche nur einen Fake-Anruf.»
Sie kicherte. «Verstehe. Du steckst in einem fremden Bett fest. Richtig?»
«Richtig!», log ich. «Dank dir!»
Wenige Minuten später betrat Fabienne das Café.
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MARIE
Wie lange hielt ich mich eigentlich schon in diesem hässlichen, dunklen Waschraum auf? Fünf Minuten? Oder waren es schon zehn?
Egal, ich konnte mich nicht entschließen, an den Tisch zurückzukehren. Hannas Detektivspielerei machte mich ganz verrückt! Anstatt endlich mal in Ruhe die Geschehnisse von damals zu reflektieren oder uns einfach über die vergangenen fünfundzwanzig Jahre auszutauschen, initiierte Hanna hier plötzlich
Die drei Fragezeichen
und präsentierte mir einen Verdächtigen nach dem anderen. Nur damit sie selbst keine Schuld traf. Damit sie endlich komplett verdrängen konnte, dass ihr Buch der Auslöser für Dorits Tod gewesen war. In welcher Form auch immer.
Auch wenn ich auf dem Weg hierher noch ernsthaft erwogen hatte, Hanna und Fabienne von meinen seltsamen nächtlichen Entdeckungen bei Wolff zu erzählen, schob ich diesen Gedanken jetzt weit von mir. Sicher steckte sowieso nicht das Geringste dahinter! Obgleich ich zugeben musste, dass mich das, was ich dort gesehen hatte, zutiefst beunruhigte. Es hatte einen Schatten auf diese Nacht geworfen. Und einen schalen Nachgeschmack hinterlassen, den ich nicht wieder loswurde. Keinesfalls durfte ich Hanna davon erzählen! Sie würde das Ganze sofort unnötig aufbauschen und ein Riesentrara darum machen. O nein, das wollte ich Wolff nicht antun. Und mir selbst schon gar nicht. Dann hörte ich mir lieber weiter Hannas versponnene Verschwörungstheorien an.
Zugegeben, Mirko war ein unangenehmer Typ. Ich konnte mir ebenso wenig wie Hanna vorstellen, was Dorit und ihn verbunden haben sollte, außer einer doppelten Portion Langeweile und Dorffrust. Aber Mirko als Dorits Mörder? Das passte nun wirklich nicht ins Bild! Es klang absurd, aber ich glaubte schlicht, ein Mord
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