Die Schatten schlafen nur
Wir wollen hoffen, dass das im Dorf nicht durchsickert. Vielleicht ertappen wir die Burschen dann ja auf frischer Tat.«
»Eine gute Lösung.« Toppe ließ seinen Blick über den Dorfplatz schweifen. »In dem Hotel dort«, fragte er, »gibt es da einen Nachtportier?«
»Einen Nachtportier? Ach so, Sie denken, dass der vielleicht was beobachtet hat! Ich weiß nicht, kann ich mir kaum vorstellen.«
Astrid und Toppe hörten die Stimmen deutlich, noch bevor sie die Eingangstür geöffnet hatten: »Beweg endlich deinen faulen Arsch! Nachts den starken Mann markieren und dann …«
»Du kannst mich mal! Weißt du, was du für mich bist? He? Soll ich dir mal sagen, was du für mich bist?«
»Die zoffen sich schon wieder«, flüsterte Astrid und zog die Tür auf. »Guten Morgen!«
Von Bahlow schenkte ihr eines seiner Reklamelächeln. »Frau Kommissarin, wie nett!«
Seine Gattin winkte ihr zu wie einer alten Bekannten und verschwand dann im Hinterzimmer.
Einen Nachtportier hatten sie nicht. Wenn die Gäste erst nach 23 Uhr ins Hotel zurückkehren wollten, bekamen sie einen Schlüssel. Und von Bahlows selbst hatten nichts gehört. »Wir haben einen langen Arbeitstag, verstehen Sie, und außerdem schlafen wir nach hinten raus.«
»Wenn wir hier weiterkommen wollen«, meinte Astrid erschöpft, als sie wieder vor der Tür standen, »müssen wir bei dem alten von Bahlow anfangen. Laut Schlüter hat der die Bürgerversammlungen einberufen und nach dem, was der am Freitag so von sich gegeben hat. Aber der Mann scheint mir ein harter Knochen zu sein und ich weiß nicht, ob ich heute noch daran nagen will.«
»Nächste Woche«, entschied Toppe. »Am Montag, wenn van Gemmern uns Näheres sagen kann. Erst mal muss ich morgen die Obduktion hinter mich bringen.«
Dieser Kurde machte ihn fertig mit seinem selbstherrlichen Getue, seinem überheblichen Grinsen, dabei hockte ihm doch die Angst im Nacken, und der arrogante Anwalt, der die ganze Zeit dabeigesessen hatte, brachte ihn erst recht zur Weißglut.
Noch vor einem Jahr wäre Norbert van Appeldorn nach so einem Tag schnurstracks in seine Stammkneipe gegangen und hätte sich betrunken. Aber jetzt gefiel es ihm besser, mit Ulli auf dem Bett zu liegen, sich den Frust von der Seele zu reden und sich trösten zu lassen.
»Wir müssen beide irgendwie masochistisch veranlagt sein oder warum sucht man sich sonst solche Berufe aus?« Sie strich ihm das Haar aus dem Gesicht. »Ich freu mich richtig auf die neue Stelle.«
Wieder mal klingelte das Telefon, aber sie hörten, dass Anna ranging.
»Ulli, für dich!«, rief sie.
»Für mich?« Für einen Augenblick wurde Ulli ganz steif, aber dann erhob sie sich doch.
Van Appeldorn stand auf und öffnete das Fenster. Endlich hatte es aufgehört zu regnen. Seine Zimmerlinde sah aus, als hätte sie Dünger nötig.
Er konnte hören, dass Ulli sich mit jemandem herumstritt.
Als sie gleich darauf zurückkam, weinte sie. »Dieses Arschloch! Dieses verdammte, gemeine, gewissenlose Arschloch!«
»Dein Vater?« Er zog sie in seine Arme. Sie konnte kaum sprechen. »Erzählt mir was davon, dass meine Mutter schwer auf Turkey ist und dass ich die einzige Rettung bin. Nur tausend Mark und dann würden sie auch nie mehr … Und wenn nicht, dann hätte ich sie auf dem Gewissen.«
Er hielt sie ganz fest. »Und diesmal hast du nein gesagt?«
Sie stemmte die Hände gegen seine Brust. Ihr Haar stand ihr in Büscheln vom Kopf ab, sie sah aus wie ein kleiner Igel. »Und wie ich nein gesagt habe! Das war’s, Norbert. Das war’s endgültig! Die kriegen mich nicht mehr.«
Er rieb seine Nase durch ihr Haar. »Herzlichen Glückwunsch, Süße.« Dann lachte er leise. »Dass Eltern Probleme mit ihren drogenabhängigen Kindern haben, das hört man ja nicht selten, aber dass Kinder sich um ihre Junkie-Eltern kümmern, das klingt schon ziemlich merkwürdig.«
»Von mir aus können die noch heute Nacht verrecken, alle beide.« Sie schluchzte wieder.
»Komm her. Du hast es richtig gemacht, und das weißt du. Komm, es ist gut.«
13
Im Angesicht der internationalen Koryphäen in ihren nagelneuen Kitteln wirkte die kleine Prosektur noch schäbiger als sonst, aber Toppe stellte fest, dass die Männer aus Leiden, Wien, Bologna und Düsseldorf sich herzlich wenig für ihre Umgebung interessierten. Die meisten hatten nicht einmal bemerkt, dass Klaus van Gemmern und er an der Wand standen und das Spektakel beobachteten.
Arend Bonhoeffer führte die Sektion durch
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