Die Schatten schlafen nur
und kam ein paar Mal ins Schwitzen. Henry hatte Recht behalten, teilweise musste er mit Hammer und Meißel arbeiten. Die ganze Zeit wurde lebhaft debattiert. Man verständigte sich, mehr oder weniger flüssig, in englischer Sprache.
Nach zweieinhalb Stunden schloss Bonhoeffer endlich die Versammlung mit einer souveränen Geste und wohlgesetzten Worten. Dann suchte er Toppes Blick. »I am awfully sorry«, wandte er sich kurz der Runde zu, »but I have to leave you for a couple of minutes. Chief Inspector Toppe – the gentleman over there – needs some information immediately. So, would you please be so kind as to follow Henry to the lounge? We have prepared a little refreshment for you there. I shall be with you in no time.«
Er streifte Handschuhe und Kittel ab und nahm die beiden Polizisten mit in sein kleines, fensterloses Büro. »Heute brauche ich einen Calvados«, meinte er. »An so einem Tag weiß ich dann wieder, warum ich mich für die kleine Karriere entschieden habe. Ständig könnte ich diesen Auftrieb nicht ertragen.« Er entkorkte die Flasche und goss drei Wassergläser halb voll. »Reden wir mal wieder wie normale Menschen. Es handelt sich also um eine männliche Leiche, zum Todeszeitpunkt zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt. Um genauer zu sein, müssen wir erst den Zahnstatus haben. Der Tod ist vor acht bis zwölf Jahren eingetreten. Auch das kann ich nach weiteren Analysen genauer eingrenzen. Mit großer Sicherheit ist der Mann ermordet worden. Gestorben ist er jedenfalls an einem Genickschuss und der Schusskanal weist darauf hin, dass es kein Selbstmord gewesen ist. Mich erinnert das Bild an die Art von Hinrichtung, die bei der SS beliebt war. Es handelt sich um ein 9-mm-Geschoss und der Schuss war aufgesetzt.« Toppe staunte. »Das kann man heute noch feststellen?«
»Wenn wir nur ein Skelett hätten, ginge das vermutlich nicht, aber wir haben ja eine Fettwachsleiche. Bei einem aufgesetzten Schuss kommt es zu Temperaturen von über 1.000 °C und wir konnten im Nacken des Toten eindeutige Verbrennungsspuren ausmachen. Die Luftsäule vor dem Geschoss trifft mit zirka 2.000 bar auf das Gewebe auf. Wenn man einen Schuss aufsetzt, kann sogar eine Platzpatrone tödlich sein. Beim Austritt des Geschosses ist jedenfalls der Unterkiefer weggerissen worden. 9 mm, also. Ihr solltet die Kugel suchen, damit wir die Waffe zuordnen können.«
Van Gemmern stellte den Schnaps, an dem er nicht einmal genippt hatte, auf dem Schreibtisch ab. »Die Fundstelle ist eindeutig nicht der Tatort. Es gibt dort keine Kugel, keine Hülse und vor allem keinen Unterkiefer, nicht einmal nennenswerte Blutspuren.« Er dachte nach. »9 mm Parabellum, Vollmantelgeschoss vermutlich, weil ausschließlich der Kiefer weggerissen worden ist. Da kommen so einige Waffen in Frage. SS-Methode, haben Sie gesagt. Die Wehrmachtswaffe damals war eine 9 mm Walther P 38. Die gleiche benutzt die Bundeswehr heute noch. Man hat sie nur umbenannt in Walther P 1.
Aber da gibt es noch eine ganze Reihe anderer. Die Glock beim österreichischen Heer, die P 7 bei der bayerischen Polizei, unsere P 5, die Heckler & Koch … Über die Waffe kann man nichts einkreisen, fürchte ich.«
An diesem Freitag machten sie alle pünktlich Feierabend und Toppe zündete zum ersten Mal in diesem Herbst den Kamin in seinem Zimmer an. Katharina wollte unbedingt helfen, aber die Holzscheite waren zu sperrig für ihre kleinen Hände. Als Toppe mit anfassen wollte, wurde sie böse: »Lass sie! ’leine machen!« Dann zog sie ein Schüppchen.
Astrid kniete sich vor sie hin. »Sollen wir baden gehen?«
So leicht ließ sich Katharina nicht von ihren Plänen abbringen, man konnte sehen, wie sie überlegte. »Mama mit!«, entschied sie schließlich.
Astrid lachte. »Ja, Mama kommt mit in die Wanne.«
»Lapplappen?«
»Natürlich kriegst du deinen Entenwaschlappen.« Sie nahm ihre Tochter auf den Arm und ging mit ihr zu Walter Heinrichs hinüber. »Kriegt Walter einen Kuss?«
»Nein! Lapplappen!«
»Aber von mir kriegt er einen«, lachte Astrid und küsste Heinrichs herzhaft auf den Mund. »Danke für alles. Danke, dass es dich gibt.«
Heinrichs wurde ganz heiser. »Was ist das eigentlich für ein Haushalt hier? Alle naselang wird einem Wein aufgedrängt, aber wenn man wirklich welchen möchte, fragt einen keiner. Heute habe ich Zeit. Also?«
Toppe sputete sich. Er wusste, dass Heinrichs neugierig war und dass er sich freute, wenn er noch ein kleines bisschen an
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