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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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winkte Pater Coulter. »Gerry Fegan«, rief er. »Jetzt hast du mich erwischt. Ich wollte nur ein bisschen ausruhen. Begleitest du mich?«
    »Aber gern, Pater«, sagte Fegan. Mit dem Priester an seiner Seite lief er langsam los.
    »Ich habe dich schon lange nicht mehr in der Messe gesehen, Gerry«, sagte Pater Coulter.
    »Heute war ich da«, gab Fegan zurück.
    »Außer bei Beerdigungen, meine ich. Wann bist du das letzte Mal zur Messe gegangen?«
    Fegan versuchte sich zu erinnern. Seit seiner Entlassung aus dem Maze war er ein oder zwei Male hingegangen, aber wann? »Muss Jahre her sein«, sagte er.
    Pater Coulter schnalzte ein paar Mal kopfschüttelnd mit der Zunge. »Das reicht nicht, Gerry. Denkst du denn gar nicht an deine Seele? Was hätte deine Mutter wohl dazu gesagt?«
    »Meine Mutter hat sich für mich geschämt«, sagte Fegan.
    »Unsinn.« Pater Coulter legte Fegan eine Hand auf den Arm.
    »Sie hat es mir selbst gesagt. Sie hat sich für das geschämt, was ich gemacht habe.«
    Der Priester hob protestierend den Finger. »Du bist ein Held unserer Sache, Gerry Fegan, vergiss das ja nicht! Du hast dir diesen Krieg nicht ausgesucht. Er wurde dir aufgezwungen. Unser guter Flerr weiß, warum du getan hast, was du getan hast. Gott vergibt allen Soldaten. Das hat John Hewitt geschrieben, der Dichter. Er schrieb…«
    Fegan blieb stehen. »Wir sind da.«
    Pater Coulter blickte sich um und entdeckte sein eigenes Haus. »Oh, tatsächlich. Kommst du noch auf einen Schluck mit rein.«
    Fegan sah prüfend die Straße hinauf und hinab. »In Ordnung«, sagte er.
    Pater Coulter angelte einen Schlüssel aus der Tasche und versuchte ihn ins Schlüsselloch zu befördern. Er traf nicht, so dass der Schlüssel über das Holz schrammte. Zweimal versuchte er es noch, ohne Erfolg.
    »Lassen Sie mich mal«, sagte Fegan und nahm dem Priester den Schlüssel aus der Hand. Er schloss auf und öffnete die Tür. »So.«
    »Danke, Gerry.« Pater Coulter tätschelte ihm die Schulter und trat ein. Fegan folgte und ließ den Schlüssel in seine eigene Tasche gleiten.
    Das Häuschen war sauber und spärlich möbliert. Pater Coulter führte Fegan ins Wohnzimmer. Schweiß stand Fegan auf der Stirn und rann ihm den Rücken hinunter, trotzdem war ihm immer noch eiskalt. Pater Coulter schaltete das Licht an und schon wetterte aus seinem Käfig ein Vogel. Es war ein Nymphensittich.
    Pater Coulter trat an den Käfig und gluckste. »Na was denn, Joe-Joe, ich bin’s doch nur.« Er warf seinen Mantel über eine Stuhllehne und drehte sich zu Fegan am. »Setz dich doch, Gerry.«
    Der Priester holte eine Flasche Brandy aus dem Schrank und goss zwei Gläser randvoll. Eines reichte er Fegan und setzte sich dann ihm gegenüber hin.
    Sein trüber Blick musterte Fegans Gesicht. »Sag mal, träumst du eigentlich viel?«
    »Nein«, antwortete Fegan. »Ich schlafe nicht besonders gut.«
    »Ich träume viel«, sagte Pater Coulter. Er nahm einen Schluck Brandy und hustete. »Entsetzliches Zeug. Ich habe in meinem Leben schlimme Sachen gesehen, Gerry. Auch Sachen, die ich hätte ändern können. Sachen, die ich hätte unterbinden können. Ich habe mir immer eingeredet, ich hätte keine andere Wahl, aber das stimmt gar nicht. Ich hatte immer die Wahl. Du weißt schon, wovon ich rede.«
    Fegan ließ sein Glas langsam auf dem Tisch kreisen und sah zu, wie sich das Kaminfeuer in der rotbraunen Flüssigkeit spiegelte. »Ja, Pater.«
    »So viele Male hätte ich etwas sagen können, jemanden zur Rede stellen. Männer wie du sind zur Beichte gekommen und haben mir von den Sachen erzählt, die sie getan hatten. Und kaum habe ich euch vergeben, seid ihr wieder los und habt es wieder gemacht.«
    Pater Coulter starrte ins Kaminfeuer, in seinen feuchten Augen spiegelte sich der orangefarbene Schein wider. »Vielleicht wäre ich an einem anderen Ort ein besserer Priester geworden. Vielleicht hätte ich dort den Willen Gottes befolgen können. Oder vielleicht war ich auch überhaupt nie dafür geeignet.« Er streckte den Arm aus und ergriff Fegans Hand. »Ich träume viel, Gerry.«
    »Sie sind betrunken, Pater.«
    Der Priester ließ Fegans Hand los und lächelte. »Ich weiß, ich weiß. Ich bin betrunken und müde. Ich mache mir Sorgen um dich, Gerry.«
    Fegan sah von seinem Brandy auf. »Warum?«
    »Weil du so viele Dinge mit dir herumschleppst. Wann bist du das letzte Mal zur Beichte gegangen?«
    »Als ich im Maze war.« Es war eine Woche nach seinem Ausgang zur Beerdigung

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