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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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einen orange-weiß gestreiften Fisch, der in einem riesigen blauen Ozean nach seinem Sohn suchte. Manchmal spürte er, wie Ellen sich neben ihm vor Lachen ausschüttelte, ebenso wie er selbst. Diese unwillkürlichen Lachkrämpfe fühlten sich seltsam an, sie entstanden irgendwo in seinem Bauch und brachen sich Bahn bis in seinen Mund. Die bewegten Bilder ließen Schatten im Raum tanzen, aber hinter diesen Schatten steckten nur Maries im Zimmer verteilte Einrichtungsgegenstände.
    Ellens Schlafenszeit kam und verstrich ohne Protest ihrer Mutter. Als der’Film jedoch zu Ende war, tätschelte Marie ihr aufs Knie und sagte: So, mein Fräulein, diesmal hast du dich durchgeschummelt, aber jetzt geht es endgültig ins Bett.«
    Maulig ließ sich Ellen nach vorn fallen. »Muss ich wirklich?«
    »Jawohl. Es ist schon fast halb neun, du hättest schon vor einer Stunde im Bett sein sollen. Draußen …« Marie unterbrach sich, so als wäre ihr plötzlich etwas Unangenehmes eingefallen. »Draußen ist es schon dunkel.«
    Fegan stand vom Sofa auf. Er sah erst die zugezogenen Fenster und dann Marie an. Sie stand auf, hob Ellen hoch und stellte sie auf den Fußboden.
    »Marsch, rein in den Schlafanzug. Und dann werden die Zähne geputzt.«
    Ellen trottete auf eine der Türen zu, die im hinteren Teil des Hauses von der kleinen Küche abgingen. Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal um, winkte und rief: »Nacht, Gerry«.
    »Nacht«, rief er zurück und war ein kleines bisschen traurig, dass sie ging. Er schaute Marie an, die mit in den Gesäßtaschen ihrer Jeans vergrabenen Händen dastand.
    »Tja«, sagte sie.
    »Tja«, sagte Fegan. Er konnte ihrem Blick nicht standhalten und wandte die Augen ab.
    Sie räusperte sich und schniefte. »Ehrlich gesagt, ich bin auch ziemlich müde. Letzte Nacht habe ich nicht gut geschlafen. Ich … ahm … ich sehe noch kurz nach Ellen und dann lege ich mich hin. Kommst du hier zurecht?«
    »Ja«, sagte Fegan. »Wenn sie auftauchen, warte ich schon auf sie.«
    »Okay«, sagte Marie. Sie ging los, blieb wieder stehen und kam noch einmal zurück. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, gab ihm einen Kuss auf die Wange und lächelte ihn an. »Ich würde dir gern sagen, dass du ein guter Mensch bist, aber ich habe eine fürchterliche Menschenkenntnis.«
    Fegan sah ihr nach, wie sie das Zimmer verließ. Die Wärme ihres Kusses verschwand, und zurück blieb ein Hauch von feuchter Kühle.
    Als es still geworden war in der Wohnung, ging er umher und schaltete überall das Licht aus. Es war stockfinster, bis er die Vorhänge öffnete. Die Straßenlampen draußen tauchten das Zimmer einen orangefarbenen Schimmer. Er setzte sich an den Tisch neben dem Fenster und wartete.
    Gelegentlich fuhr draußen ein Auto vorbei und strahlte mit seinen Scheinwerfern die alten Häuser an. Dann erschien es ihm jedes Mal, als würden die Fassaden den vorbeifahrenden Menschen nachsehen.
    Gelegentlich kamen auch Passanten draußen am Fenster vorbei, ohne zu ahnen, dass Fegan sie beobachtete. Manchmal waren es Paare, junge, eng ineinander verschlungene Männer und Frauen, die daherkamen wie ein Leib. Ihr Anblick löste Vorstellungen in seinem Kopf aus, Phantasien, denen er nicht nachgeben wollte. An ihrem Ende würden nur Trauer und Selbstmitleid auf ihn warten.
    Stattdessen dachte er an die feuchte Kühle auf seiner Wange. Er betastete die Stelle mit seiner Fingerspitze und erinnerte sich wieder, wie warm es gewesen war, bevor es abgekühlt war.
    Fast drei Stunden vergingen, bevor es die Kälte von seinem Körper Besitz ergriff, es in seinen Schläfen zu pochen anfing und die Schatten zum Leben erwachten.

Eddie Coyle redete auf der ganzen Fahrt kein Wort. Campbell hatte er freundlich Hallo gesagt, als er vor ein paar Minuten zu ihm in den Wagen gestiegen war, aber Coyle hatte keine Antwort gegeben. Jetzt fuhren sie die Malone Road entlang und näherten sich dem Wellington Park Hotel. Gleich dahinter ging es rechts ab in die Eglantine Avenue.
    »Also, dann erledigst du die Sache also selbst?«, fragte Campbell.
    Coyle starrte weiter geradeaus. Die Schwellung über seinem Auge hatte nachgelassen, aber der Gazeverband auf der Augenbraue erblühte in schreiendem Rot.
    »Ich bleibe einfach im Wagen und lass dich machen, in Ordnung?«
    Coyles Mund zuckte. »Halt deine verdammte Klappe, du Scheißkerl«, sagte er. »Du hast hier überhaupt nichts zu sagen. Es gibt einen Haufen Jungs, die mit mir hätten kommen können.

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