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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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ihrer Macht auf der Straße angewiesen waren. Andererseits hatte der politische Einfluss der Partei dafür gesorgt, dass Bull in den letzten zehn Jahren seine Biodieselanlagen weitgehend unbehelligt hatte betreiben können. Jeder brauchte den anderen, und das Gleichgewicht zwischen altem und neuem Weg war sorgfältig austariert.
    Dieses Gleichgewicht bedrohte Fegan nun. Was für eine irrsinnige Vendetta er auch immer im Sinn haben mochte, sie hatte auf jeden Fall das Potential, den Politikern das Steuer vollkommen zu entreißen. Wenn Campbells Vermutung zutraf und Fegan es schaffte, McGinty zu erwischen, konnte das einen tiefen Riss in der Partei zur Folge haben. Nun gut, die Partei konnte ihn ersetzen. Es kursierten sogar Gerüchte, dass schon jemand auserkoren war, seinen Platz einzunehmen, wenn man nur einen Weg gefunden hätte, ihn auszubooten. Aber da machten McGintys Anhänger nicht mit. Höchstwahrscheinlich würde eine Fehde die Folge sein. Auch so war der Stormont schon ein fragiles Konstrukt. Wenn man auch noch McGinty verlor, stand er auf Messers Schneide.
    Keine Frage, Fegan musste verschwinden. Und danach?
    Die Worte seines Kontaktmannes fielen Campbell wieder ein. Er konnte sich nicht vorstellen, aufzuhören. Wenn er die Augen zumachte und sich ausmalte, dass er dieses Leben aufgab, kam es ihm vor, als springe er von einer Klippe. Ein langer Sturz ins Nichts. Schon allein die Vorstellung machte ihn schwindelig.
    Als Campbell mit der Black Watch zum ersten Mal nach Belfast gekommen war, hatten alle gesagt, es werde niemals aufhören. Dafür seien die Gräben und der gegenseitige Hass viel zu tief. Dieser schmutzige Krieg werde immer weitergehen, Bombe auf Bombe, Leiche auf Leiche. Die Politiker waren viel zu sehr damit beschäftigt, den Fanatismus ihrer Anhänger zu befriedigen, als nach Lösungen zu suchen, und die Paramilitärs verdienten viel zu viel Geld, um etwas anderes auch nur in Erwägung zu ziehen.
    Aber trotz aller vermeintlich unüberwindbaren Hindernisse sah es jetzt tatsächlich so aus, als hätten sie es doch geschafft. Campbell konnte es immer noch nicht richtig glauben. Es kam einem geradezu unwirklich vor. Die Politiker waren von der britischen und der irischen Regierung so lange gedrängt, erpresst und drangsaliert worden, bis sie sich an einen Tisch gesetzt hatten. Nach über achtzig Jahren hatte dieses kleine Land endlich eine Zukunft.
    Und Campbell hatte keine mehr.
    Als er die Wagentür aufmachte, fiel ihm wieder ein altes chinesisches Sprichwort ein: Mögest du in außergewöhnlichen Zeiten leben.
    Campbell durchquerte eine Gasse zwischen zwei Häusern. Sie führte in eine weitere, die parallel zur Calcutta Street verlief und die Grenze zwischen ihr und der Mumbai Street bildete. Eng an die Ziegelmauer gedrückt, schlich er an den Hinterhöfen entlang und zählte dabei die Tore. Am Tor zu Fegans Hinterhof war die Farbe abgeblättert, und das Holz wackelte im Rahmen, als Campbell mit den Fingerspitzen dagegendrückte. Ein fester Tritt hätte gereicht, um es aufzubekommen, allerdings wollte er keinen unnötigen Lärm machen. Auch hier über die Mauer zu klettern, erschien ihm nicht ratsam. Fegan brauchte nur einmal aus dem Fenster sehen und würde ihn kommen sehen.
    Stattdessen schlich Campbell in der Gasse zurück, bis er zwei Häuser weiter von Fegans Hoffenstern aus nicht mehr zu sehen war. Dort schwang er sich über die Mauer. Er lief zur Rückwand des Gebäudes und kletterte mit Hilfe einer Mülltonne in den benachbarten Hof. Ein kleiner Hund kläffte ihn an, als er auf einer Ansammlungen von Blumenkübeln landete. Er fluchte leise und scheuchte den Welpen mit einem Tritt davon. Herrgott, dachte er, dann hätte ich ja auch gleich auf einem Elefanten herreiten können.
    Campbell beeilte sich für den Fall, dass der Hundebesitzer vielleicht nachschauen kam. Er hielt sich dicht an der Mauer und spähte in Fegans Hof. Es war eine einfache, unkrautbewachsene Betonfläche. Campbell stieg zunächst mit einem Bein über die Mauer und zog dann den Körper hinterher. Auf der anderen Seite ging er sofort in die Hocke. Mit dem Rücken zu der Ziegelmauer sah er hinauf zum Küchenfenster. Das kleine Oberlicht war offen. Er würde also hineingreifen, die Verriegelung des unteren Fensters öffnen und dann einsteigen können.
    Wie die meisten alten Reihenhäuser in Belfast hatte auch dieses unten und oben je zwei Zimmer, nach hinten war eine Küche angebaut, darüber lag ein Bad. Während der

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