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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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seinen letzten Schluck Whiskey gegönnt hatte. Das Zittern war im Augenblick noch nicht besonders stark, nur ein ganz leichtes Zucken, aber immer wieder überkamen ihn diese Frostanfälle. Seine Zunge war staubtrocken, und er sammelte Spucke im Mund, um sie zu befeuchten. Die Alpträume seines Vaters fielen ihm wieder ein, die Schreie, die ihn dann doch wieder Zuflucht bei der Flasche hatten suchen lassen. Fegan fragte sich, ob seine Verfolger ihn wohl träumen lassen würden.
    Lichtstrahlen stahlen sich durch den Spalt in den Vorhängen und wanderten über die Decke. Von draußen hörte man das Tuckern eines Dieselmotors, dann das Knarren einer Handbremse, eine sich öffnende und wieder schließende Taxitür und schließlich eine frohgemute Stimme, die gute Nacht wünschte. Dann das Brummen des davonfahrenden Wagens und das Kratzen des Schlüssels, der den Weg ins Schlüsselloch suchte.
    Die Schatten erwachten zum Leben und zogen sich in die finsteren Ecken zurück.
    Fegan spürte einen Luftzug an den Beinen, als unten die Haustür aufging. Lichtschalter wurden ein- und wieder ausgeknipst. Man hörte ein Flattern und ein hohes Kreischen, als der Nymphensittich im Wohnzimmer protestierte, weil der Priester seinen Schlaf gestört hatte.
    Fegan hörte Pater Coulter lallen: »Ist ja gut, Joe-Joe. Ich bins doch nur. Jetzt schlaf schön weiter.«
    Ein weiteres Licht wurde ausgeknipst, und Fegan hörte, wie der Priester sich schnaufend den Weg die Treppe hinauf machte. Die Stufen knarrten unter seinem Gewicht. Dann hörte Fegan, wie im Badezimmer an der Lichtkordel gezogen und kurz darauf ein Reißverschluss aufgezogen wurde. Pater Coulter summte vor sich hin, während er einen schier endlosen Strom in die Toilettenschüssel prasseln ließ. Danach kam das sanftere Plätschern von Wasser und schließlich das Rascheln eines Handtuchs. Die ganze Zeit über summte der Priester weiter eine erfundene Melodie vor sich hin.
    Fegan spannte sich nervös an, als die schweren Schritte näher kamen. Er atmete flach und gleichmäßig, während Pater Coulter heftig schnaufte. Er hörte, wie der Kopf des Priesters noch einmal in der Tür innehielt und dann das Klicken eines Lichtschalters.
    »Ach, Mist«, schimpfte Pater Coulter, als es dunkel blieb. Die Birne lag neben Fegans Füßen, die Schuhe hatte er ausgezogen.
    Seufzend betrat Pater Coulter das Schlafzimmer. Fegan und die Schimären beobachteten seine dunkle Silhouette, als er die Schuhe von den Füßen trat und ins Bett stieg. Er rollte sich auf den Rücken und zog den weißen Kragen von seinem schwarzen Hemd. Nach ein paar Sekunden des Herumtastens waren die obersten Knöpfe auf. Er ließ die Arme zu beiden Seiten fallen und streckte sich auf den Laken aus. Nach wenigen Minuten erfüllte ein kehliges Schnarchen den Raum.
    Die drei Briten kamen aus der finstersten Ecke hervor, stellten sich neben das Bett und simulierten die Exekution des Priesters. Die Frau folgte nach, die winzigen Hände des Säuglings klammerten sich an ihr Kleid, während sie es sanft in den Armen wiegte. Sie lächelte Fegan an. Er nickte und stand auf. Campbells Messer war leicht, aber der Griff lag fest in seiner Hand, als er das Zimmer durchquerte. Er tastete nach dem Arretierknopf, der sich durch die Membran des OP-Handschuhs kalt anfühlte. Mit einem leisen Schnappen sprang die Klinge auf.
    Das Schnarchen hörte auf. Fegan konnte soeben Pater Coulters rundes Gesicht und die blinzelnden Augen ausmachen.
    Die Schatten zogen sich zurück.
    Die Stimme des Priesters kam nur in einem leisen Flüstern. »Wer ist da?«
    »Alles in Ordnung, Pater. Sie träumen nur. Schlafen Sie weiter.«
    »Träumen? Ich … ich …«
    »Pssst.« Fegan hob das Messer.
    »Gerry? Gerry Fegan? Bist du das?«
    Fegan erstarrte. »Ja, Pater.«
    »Was willst du, Gerry? Was machst du hier?«
    »Erinnern Sie sich noch, wie Sie mir von Ihren Träumen erzählt haben, Pater?«
    Der Priester versuchte, sich auf die Ellbogen zu stützen. »Was hast du da?«
    Fegan streckte die Hand aus und strich Pater Coulter übers Haar. »Erinnern Sie sich noch? Die Briten - Sie hätten es verhindern können, aber Sie haben es nicht gemacht.«
    Pater Coulter schüttelte langsam den Kopf. »Das ist schon so lange her, Gerry. Ich hatte Angst.«
    »Haben Sie jetzt auch Angst?«
    Der Priester nickte.
    »Sie werden nicht mehr von Ihnen träumen müssen«, sagte Fegan.
    »Bitte, Gerry, du machst mir Angst. Was willst du von mir?«
    »Gar nichts«, sagte Fegan.

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