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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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noch auf ein paar Sicherheitsleute warten, die mich wieder rausbrachten. Als du eben angerufen hast, war ich gerade erst wieder ein paar Minuten draußen.«
    Sie war wie aufgeputscht vom Adrenalin und von ihrer Entrüstung. »Und keine Spur mehr von Patsy?«, fragre Fegan.
    »Nein. Er war weg. Ich nehme an, der hat sich verdrückt, sobald er gesehen hat, dass ich eincheckte.«
    »Und wo fahren wir jetzt hin?
    »Nach Portcarrick. Die Küste rauf, hinter Ballymena. Als wir noch klein waren, sind unsere Eltern ein paar Mal mit uns dorthin gefahren. Wir haben damals immer auf dem Campingplatz übernachtet, aber an der Küste gibt es da so ein kleines Hotel. Es heißt Hopkirk’s. Ich hoffe nur, dass es noch existiert.«
    »Ich auch«, sagte Fegan.
    Träume kamen und gingen, einige hässliche und einige wunderbare. Fegan hatte die Augen bis kurz vor Antrim aufgehalten, aber schließlich hatten ihn die sich endlos vor ihm erstreckenden Straßenbänder in einen unruhigen Schlaf sinken lassen, unterbrochen von plötzlichen Stößen und Kurven. In seinem Dämmerschlaf nahm er noch das Auf und Ab der Straßen wahr, ebenso wie die Dunkelheit, in die sie hineinfuhren.
    Als Fegan nach einer Weile wieder aufwachte, sah er nur noch tiefste Schwärze um sich herum. Der Druck auf seinen Ohren verriet ihm, dass sie sich irgendwo in den Bergen befanden.
    »Jetzt ist es nicht mehr weit«, sagte Marie. »Wir sind gerade in den Glens. Du hast die ganze Schönheit von Ballymena verpasst.«
    Sie fuhr links ab, und Fegan spürte, dass der Wagen ein sanftes Gefälle hinabfuhr. Vor dem Fenster sah er bis zum Horizont hohe Wiesen vorbeifliegen. Man kam sich vor wie in einer Wildnis. Kilometerweit nichts.
    »Bei Tageslicht ist es wunderschön hier«, sagte Marie. »So friedlich, als würde es den Rest der Welt gar nicht geben. Wie gern bin ich früher hierhergekommen. Ich wollte mir immer ein Haus an der Bucht kaufen. Daraus wird jetzt wohl nichts mehr.«
    Unwillkürlich hielt Fegan den Atem an, als für ein paar Sekunden der Mond hinter den Wolken hervortrat. Er beschien die Landschaft, und plötzlich konnte man in jede Richtung meilenweit sehen, bis hinauf in die grasbewachsenen Hügel, die den Himmel zu berühren schienen. Und vor ihnen, gar nicht weit weg, sah er in der sich unten ausbreitenden Bucht einen silbernen Streif, wo der Nordatlantik mit der Irischen See verschmolz und dem Mond einen Spiegel darbot. Dann war es wieder weg, die schimmernde Scheibe verbarg sich, während die Straße sich weiter die Hänge hinunterwand.
    »Ich hätte nie…«
    »Nie was?«, fragte Marie.
    »Ich hätte nie gedacht, dass etwas so aussehen kann«, sagte er. »Wirklich nicht.«
    Sie streckte die Hand aus und drückte seinen Arm. Fegan wusste nicht, ob er eher zurückweichen oder seine Hand auf ihre legen sollte. Schließlich tat er beides nicht.
    Ein seltsames Gefühl wallte in ihm auf, als er an seine sechs Verfolger dachte. Sosehr er sich auch nach einer ruhigen Nacht sehnte, wünschte ein Teil von ihm andererseits doch, dass auch sie diesen Ort sahen. Er dachte an die Frau mit ihrem Baby, immer war sie hübsch anzusehen und schenkte ihm ihr sanftes, trauriges Lächeln. Sie verdiente es, etwas anderes zu Gesicht zu bekommen als nur das Innere von McKennas Bar oder Fegans spärlich möbliertes Haus.
    Nach einem letzten steilen Gefälle wand sich die Straße wieder in sanften Kurven dahin. Sie erreichten eine Ansammlung weißgekalkter Häuser und folgten der engen Straße, die um sie herumführte. Und da war es, genau wie Marie es beschrieben hatte. Linker Hand führte eine Brücke über die Mündung eines kleinen Flusses, dahinter stand eine alte Kirche, und ein langer Strand zog sich nach Norden hin bis in die Dunkelheit. Am diesseitigen Ufer stand eine Gedenkstätte für eine verschollene Fischkuttermannschaft, deren dunkler Basalt kaum das Licht der Scheinwerfer widerspiegelte.
    Das Denkmal zog linker Hand zwischen ihnen und der Flussmündung vorbei, dann kamen rechts das Hotel und dahinter ein hübsches zweistöckiges Cottage. Fegan konnte die vielen Klippen, die ins Meer hinausfielen, kaum sehen, aber er ahnte sie jenseits der Ansiedlung. Marie steuerte den Wagen zwischen die beiden alten Gebäude. Licht schien durch die Ritzen in den Fensterläden des Cottage. An den Mauern entlang wanderten Schatten, aber Fegan konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es die Schimären der sechs Toten waren oder nur das vorbeistreichende Scheinwerferlicht. Bei dem

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