Die Schatten von Belfast
Hargreaves. Er war nicht in der Stimmung, freundlich zu tun. Der Morgen war einfach zu perfekt, als dass man ihn sich von so einem Proleten verderben ließ. Seine Wohnung auf der obersten Etage eines Hauses in Belgravia gewährte ihm einen wunderbaren Ausblick auf den kleinen privaten Park, den der Cadogan Place umgab. Der einzige Vorteil seines Jobs war diese allererste Londoner Adresse. Bislang hatte er vermeiden können, dass seine Frau die Wohnung zu Gesicht bekam. Und wenn er es verhindern konnte, würde die vertrocknete alte Kuh auch nie einen Fuß über diese Schwelle setzen. Dampf waberte aus dem geräumigen Bad, wo seine neue Gespielin sich den Schweiß von ihrem wohlgeformten Rücken wusch. Nein, seine Frau würde dieses Apartment nie betreten und ihm auch noch das einzige Schöne an seinem beschissenen Job ruinieren.
»Noch ein Mord«, sagte Pilkington.
Hargreaves trat vom Laufband. »Wer?«
»Ein Priester. Pater Eammon Coulter. Seine Haushälterin hat ihn vor anderthalb Stunden gefunden, als sie kam, um ihm das Frühstück zu richten. Der genaue Hergang ist noch unklar, aber offenbar wurde er erstochen.«
»Und warum machen wir uns Gedanken wegen eines Priesters?«, wollte Hargreaves wissen. Eine durchaus vernünftige Frage, fand er.
»Aus mehreren Gründen«, erklärte Pilkington. »Er ist der Priester, der McKenna und Caffola beerdigt hat. Er war Bull O’Kanes Vetter und nach allem, was wir hören, nicht eben ein mustergültiger Priester. In den späten Siebzigern hat es in Sligo mal irgendeinen Skandal gegeben. Alles wurde unter den Teppich gekehrt und er selbst in aller Eile in eine andere Gemeinde versetzt. Gerüchten zufolge war es O’Kane selbst, der dafür gesorgt hat, dass man ihn nach Belfast schickte. Er wollte vor Ort einen Priester, den er unter Kontrolle hatte.«
»Und war es Fegan?«
»Davon müssen wir ausgehen.«
»Verstehe«, sagte Hargreaves. »Und warum hat man sich noch nicht um ihn gekümmert?«
»Unser Mann hat gestern versucht, ihn zu beseitigen, aber er hat es verbockt. Unser anderer Insider, der unseren Mann überhaupt erst wieder eingeschleust hat, sagt, dass McGinty nicht gerade bester Laune ist. Die Parteiführung ist kurz davor, ihn komplett zu entmachten, Fehde hin oder her. Und jetzt ist Fegan verschwunden. Meine Männer wurden in die Calcutta Road gerufen, nachdem man dort Schüsse gehört hatte, aber von ihm fehlte jede Spur.«
Pilkington räusperte sich. »Und dann gibt es da noch eine Komplikation.«
»Gütiger Gott, was denn noch?« Hargreaves ließ die Schultern hängen.
»Da gibt es eine Frau, Marie McKenna, die Nichte des kürzlich verstorbenen Michael McKenna. Vor Jahren ist sie McGinty mal übel aufgestoßen, aber wegen ihres Onkels hat er sie in Ruhe gelassen. Jetzt ist der Onkel tot, und seitdem versucht er, sie einzuschüchtern, damit sie das Land verlässt. Unser Insider hat Flugtickets für sie und ihre Tochter besorgt, sie bis zum Flughafen beschattet und gesehen, wie sie eincheckte. Aber sie ist nie am Zielort angekommen. Die ist nun also auch verschwunden. «
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Hargreaves. »Was hat das denn mit der ganzen Sache zu tun?«
»Nun ja, sie und Fegan sind sich offenbar ein bisschen nähergekommen. Er war in ihrer Wohnung, als er vorgestern Abend verhaftet wurde. Wir glauben, dass sie zusammen sind, wo auch immer. Das bedeutet, wenn man ihn findet, wird es umso schwieriger, sich um ihn zu kümmern.«
Hargreaves fühlte, wie eine warme Hand ihm über den Nacken strich. Er wandte sich um und sah das Mädchen, ihre nackte, dunkle Haut glänzte. Sie sprach nur sehr wenig Englisch, aber was machte das schon? »Und wie geht es weiter?«, fragte er.
»Wir warten ab«, sagte Pilkington. »Irgendwo wird Fegan schon wieder auftauchen. Wir müssen dann nur Gewehr bei Fuß stehen und ihn erledigen. Ein Gutes hat die ganze Sache allerdings. «
Hargreaves lachte trocken. »Tatsächlich. Das möchte ich hören. «
»McGinty wollte heute Morgen eine Pressekonferenz abhalten. Da wollte er einen seiner Strolche vorführen, der von Fegan verprügelt wurde, und behaupten, meine Männer wären es gewesen. Ebenso wollte er seine Anschuldigungen wiederholen, meine Männer seien verantwortlich für Caffolas Tod. Das wird er jetzt sehr wahrscheinlich abblasen. Unser Freund in der Partei sagt, dass der Mord an dem Priester McGinty sämtliche Munition genommen hat.«
»Da haben Sie ja Glück gehabt«, sagte Hargreaves. »Vielleicht
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