Die Schatten von La Rochelle
kein Mensch, noch nicht ein m al der Pfarrer in der Kirche. Nach »O sah ich doch die Stadt in Asche fallen, und deine Lorbeern sinken in den Staub« gab sie es auf.
Den Leuten dort drinnen schien es jedoch sehr gut zu gefallen. Sie applaudierten lange und ausdauern d , als der Vortragende schließlich zu einem Ende gekommen war, und es dauerte noch eine ganze W eile, bis Mada m e den Salon verließ.
W i eder in ihren Ge m ächern an g ek o mmen, entkleidete s i e si ch m i t Charlottes Hilfe, dies m al langsa m er. Sie schien gedan k enverl o ren, aber ehe sie Charlotte e n tließ, sag t e sie noch: » D u bist geschickt und flink. Für heute bin ich sehr zufrieden.«
»Danke, Mada m e«, entgegnete Charlotte, die schon herzlicheres Lob gehört hatte. S i e konnte es sich nicht versagen, hinzuzufügen:
»Für das Gesicht wäre ein Stück rohes Fleisch jetzt gut, Mada m e.« Bei dem zweiten »Mada m e« warf ihr die Herzogin, die vor ihrem Frisierspiegel saß, einen raschen S eitenblick zu, und Charlotte biß sich auf die Lippen. A ber die Her z ogin sagte nichts weiter, also knickste Charlotte und z og sich zurück. Im Vor z im m er war eine Liege für sie aufgestellt, und sie war eigentlich erschöpft genug, um sich sofort darauf sinken zu lassen, aber zuerst hatte sie noch etwas zu tun.
Sie m achte sich auf d i e Suche nach Le Val. »Da b i st du ja«, sagte er, als sie ihn fand.
Ärgerlich gab Charlotte zurück: »Ich hätte genausogut nicht ko mm en können.«
»Nein«, m einte Le Val gedehnt, »ich wußte gleich, daß du e i n ehrliches kleines Mädchen bist.«
Mit Ehrlichkeit hatte das wenig zu tun. Sie hatte noch keine Ahnung, wie stark Le Vals Stellung hier war. Er hatte sie der Herzogin vorgestellt, und m öglicherweise konnte er genausoschnell dafür sorgen, daß sie wieder hinausgeworfen wurde, wenn sie i h ren Teil d e r Ab m achung nicht einhielt.
Nur diese Nacht, dachte Charlot t e. Nur diese Nacht, und dann nie wieder.
Als das Mädchen sie allein gelassen hatte, ließ Marie den Kopf auf die kühle Platte des Tisches sinken. Als sie ihn wieder hob, sah sie im Spiegel, daß sich d ie Ränder d er I n tar s ien wie Schnittli n ien in ihre Stirn eingeprägt hatten. Zus a m m en m it d e n braunen und blauen Flecken, die sie Cinq Mars verdankte, sah ihr Gesicht bald selbst wie eine die s er flore n tinisc h en Einlegearbeiten aus. Sie versuchte zu lachen, aber es wurde ein halbes Sc h l u chzen dara u s.
Es war zuviel gewesen: der fehlende Schlaf, die schlechten Vorahnungen, das Hospital m it de m , was es für sie bedeutete, Cinq Mars, der ihr zeigte, daß sie dieser A r t von Brutalität im Grunde im m er noch so hil f los gegenüberstand wie vor zwanzig Jahren. Nicht, daß Antoine sie je geschlagen hätte. Nicht m it den Händen. Es gab and e re Mittel, wie ihr übrigens auch heute wieder dieser Mann, der Fre m de, bewiesen hatte.
Marie de Combalet brach aus d e m Gefängnis aus, in dem die Herzogin von Aiguillon si e eingesperrt hielt, und sie bra u chte nicht in den Spiegel zu sehen, um zu wissen, daß sie weinte. Die Tränen ka m en, wie sie es im m er taten, wenn ihre Disziplin, auf die s ie so stolz war, zusam m enbrach, ganz gleich, aus welchem Anlaß.
Die Verga n genheit h atte sie wie d er eingeholt.
II
D IE V ERGANGENHEI T : M ARIE
Leidenschaft ist eine heftige Regung der Seele in ihrem empfindsamen Teil (… ) . Und daher müssen wir die Seeleute nachahmen, die sich, ehe sie den Hafen verlassen, mit allen notwendigen und nützlichen Dingen, um Unwettern und Stürmen zu widerstehen, ausrüsten, und uns von vorneherein mit so fester und begründeter Vernunft ausstatten, daß sie den Verstand gegen den Anschlag unserer Leidenschaften wappnet und verankert, wenn sie, wie so viele sich auftürmende Wellen, mir nichts, dir nichts in unser Boot überfließen ( … ) .
Richelieu: Em blema Animae
3. KAPITEL
Sie war noch zu jung, um zu begreifen, was es für sie bedeutete, als sie zum er st en Mal von dem F a m iliengehei m nis erfuhr. Ihre Mutter hatte sie u n d François zu Grand m è r e Suzanne g ebrac h t, wo sie zum ersten Mal den Cousinen und Cousi n s begegnete, Margot vor alle m , und wo alles seinen Anfang nah m .
Vorher hatte sie i h re u n m ittel b are U m gebung mühelos do m iniert; die Mutter war in i h rer ersten Ehe kinderlos geblieben und daher überglücklich über ihre Geburt, und François, als er dann auftauchte, war zu klein und zu
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