Die Schatten von La Rochelle
wenn sie sehr erschöp f t und allein war. Es ließ sie bei ihrer geringen Größe w ie ein klei n es Mä d c h en w i rken. »Ihr hättet nicht auf uns warten sollen.«
»Es ist gut, Co l m ardo«, sagte der Kardinal.
Als Mazzarini gegangen war und sie allein waren, fragte er: » W as gibt es, ma nièce?«
Sie hätte i h m eine Menge zu s a gen gehabt, aber sie begann m it Neufrankreich. Er las den Brief und runzelte die Stirn. » W ir brauchen m ehr Siedler dort«, m einte e r . » W enn es ihr eigenes Land ist, um das es geht, wird es ihnen lebenswichtig sein, es zu verteidigen, nicht e i ne l ä stige P f licht . «
Aber er ko n nte s i ch an diesem Abend nicht m e hr auf Neufrankreich konzentrieren, obwohl es ihm sehr am H e rzen lag. Vor Menou hatte einer s einer älte s t en Getreuen aus dem Po i t ou, Isaac de Razilly, die Verant w ortung dort innegehabt, bis er plötzlich im Alter von nur fünfundvierzig Jahren gestorben war. Aber es war die europäische Lage, die ihn zur Zeit voll und ganz in Anspruch nah m .
Er hatte, zu s ammen m it Mazzarini, Verhandlu n gen m it dem Kaiser und den deutschen Fürsten, ob prote s tantisch oder katholisch, begonnen, gehei m e Verhandlungen, unter Ausschluß Spaniens. E s war an der Zeit, den langen Krieg dort zu beenden, und Col m ardo m it seinem Geschick für die Diplo m atie war der richtige Mann dafür. Soissons m it seinem lächerlichen Aufstand k a m gar nicht ein m al zu einer verkehrten Zeit. Solange es Oliva r es ablenkte… Es sei denn, hinter Soissons steckte m ehr.
Von Col m a rdo wanderten seine G e danken zu dessen Vorgänger, der sein Leben wie kaum ein anderer begleitet hatte. »Nichte«, sagte er abrupt, »im letzten H erbst, ehe ich nach Paris zurückkehrte, habe ich Alphonse besucht.«
Marie war beunruhigt. Die Bezie h ungen zwischen dem Kardinal und seinem älteren Bruder, den er beinahe m it Gewalt aus dem Kloster gezwungen hatte, waren, gelinde gesagt, stür m i sch. Sie spürte, daß er i h r etwas m itteil e n wollte und nur nach ei nem An f ang suchte.
» W aru m ?« fragte s i e be h utsa m .
»Ich ver m isse Pater Joseph.«
Pater Joseph, der sein Dasein a l s François du Tre m blay begonnen hatte und aus der gleichen Gegend wie die Richelieus sta mm t e, war die rechte Hand des Bischofs wie des Kardinals gewesen, sein wichtigster Ratgeber und Unterhändler. Aber worauf ihr Onkel jetzt hinauswollte, s pürte M arie, war die Tatsache, daß der Kapuziner, der jede Art von kirchlichem Aufstieg jahrzehntelang strikt abgelehnt hatte, auch sein Ve r tra u ter in B e langen der Seele gewesen war. Der einzige Mann, von d e m sich der K a rdinal in solchen Angelegenheiten etwas sagen ließ. Als Unterhänd l er war Pater Joseph bereits zu Lebzeiten mehr und m ehr von Giulio Mazzarini ü berschattet worden, aber der andere Teil der Bez i ehung ließ sich nicht ersetzen.
Dennoch, sie war leise gekränkt. Sie wußte und hatte nie anderes erwartet, daß es viele Dinge gab, über die er m it ihr nicht sprach, aber sie hatte angenom m en, seelische Krisen gehörten nicht dazu. Er hatte i h r in solc h en Situationen bereits mehrmals vertraut; war u m nicht jet z t?
»Monseigneur, Ihr wißt, ich bin hier.«
Er sah sie an und schüttelte den Kopf. »Nicht heute nacht, Marie. Ihr braucht Euren Schlaf; ich habe Euch bereits lange genug aufgehalten.«
In diesem Mo m ent beschloß sie, ihm nichts von Paul d’Irsd m asens zu erzä h len. » W ie Ihr wünscht, Monseigneur«, sagte sie, be m üht, nicht steif zu klingen, und zog sich zurück.
Der Kardinal wußte, daß er sie gek r änkt hatte, a b er d i e Geister, d i e ihn heute nacht plagten, waren die Seinen, und er konnte sie nicht da m it belasten.
Pater Joseph, sterbend: »Ich weiß nicht, A r m and, ob wir nicht das Werk des Teufels getan haben, Ihr und ich.«
» W arum sagt Ihr das, Pater ? « Er hatte es auf das deutliche Ressenti m ent geschoben, das der Kapuziner gegen Col m ardo hegte, als Pater Joseph erwiderte: »Katholis c h, A r m and… katholisch bedeutet univers e ll. Die Mutter Kirche u m f a ßt a lle Nati o nen, ab e r w as j e t z t in Europa wuchert, ist das Unkraut d e s Glaubens, eine Nation sei wichtiger als d i e andere, m üsse m ehr gefördert wer d en als die a n dere, se i wichtiger sogar als der Glauben. Das ist Ketzerei, Ar m and, und was Ihr auch sagt, ich fürchte, Ihr hängt dieser Ketzerei an.«
Und Alphonse, dies m al sehr leb e ndig und nicht in einem der
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