Die Schatten von La Rochelle
prangten, waren kaum zu erkennen, denn zusätzlich zu den Hunderten von Deputierten hatte sich der neugierige Hofstaat eingefunden und, ohne zu zögern, d i e Sitzplätze eingenom m en, die eigentlich für die Abgeordneten g e dacht gewesen waren. Auf einem Podest saß der junge, d r eizehnjährige König, ganz in W eiß gekleidet, und sah aus wie das, was er war: ein unglückliches, niedergedrücktes Kind.
Seine Mutter saß neben ih m , üpp i g und schlecht gelaunt ob der Notwendigkeit dieser ganzen Ver s am m l ung. Maria de’Medici, die zweite Gemahlin Henris IV, hätte der anderen Medici-Königin auf dem französischen Thron, Caterina de’Medici, die erst vor fünfundzwanzig Jahren gestorben war, nicht unähnlicher sein können. Caterina d e’Me d ici h atte im guten wie im schlechten Sinn geherrscht; Maria d e ’ M edici war n ur herrsc h s ü chtig. Man m erkte deutlich, daß die Reden sie langweilt
Ihr war gleich, was gesagt wurde, solange sie nur endlich ihren W illen bekam.
A r m and hatte sich beide, Mutter und Sohn, anders vorgestellt, aber das war vergessen, als die Reihe der Redner an ihn k a m . Da war er wieder, der Pulsschlag, der reißende Stro m , der sich ergreifen und lenken ließ. Als er vor dem Podest niederkniete, hörte er die Königin m utter etwas flüstern und die dünne, unsichere Stim m e des Königs sagen: »Sprecht n u n, Monsieur de Luçon.«
Er erhob sich und sah die Repräsentanten Frankreichs vor sich. Wer konnte wissen, wie viele Menschen sich heute in diesem Saal befanden; das Meer der Köpfe ließ sich nicht zählen. Und so, wie er m it siebzehn im G e m a c h seiner Mutter den Haupt m ann und den Kapitän de Richelieu begraben hatt e , so begrub er jetzt Ar m and du Plessis, B i schof einer unbedeutenden Stadt, für eine kurze Zeit Liebhaber einer unbekannten Frau. Als e r zu sprechen begann, war Ar m and tot, und das Leben Richelieus hatte begonnen.
V
D IE V ERSCHWÖRUNG
Gerechte Rache galt noch nirgends als Verbrechen.
Pierre Cor n eille: Der Cid
18. KAPITEL
Ch a m bord, dachte Fontrailles, gehörte zu den schönsten Schlössern an der Loire, das m uß t e m an Mon s ieur neidlos zugestehen. Anders als der immer etwas düster wirke n de Louvre strahlte Chambord m it seinen weißen Tür m en, den kleinen Erkern und blauen Tur m spitzen den Char m e eines Märchenschlosses aus. Je nun, wenn m a n nicht den Thron haben konnte, dann zu m i nd e st die Residenz eines König s . Er räusperte sich.
» W as m eint Ihr, Monsieur ? «
Gaston d’Orléans war gealtert. Er hatte seinen Bruder Louis immer in Aussehen und Grazie überstrahlt, aber m ittlerweile wir k te er m it dem fast vo l lständig ergrauten Haar und den von einer frühen Gicht gekrüm m t en Fingern beinahe älter.
»Ich m eine, Ihr habt Glück gehabt, daß Soissons tot ist«, erwiderte er m ürrisch. »Da die Art, in der es geschehen ist, reichlich bizarr war, ver m ute ich, der Kardinal s t eckt dahinter und ist Euch bereits auf den Fersen. Und so einem Unt e rneh m en soll ich m einen Schutz gewähren ? «
»Ich kann Euch versichern«, sag t e Fontrailles gedehnt, »daß es nicht der Kardinal war, durch den Soissons u m g e kom m en ist.«
Die brennende Som m ersonne w u rde von den weißen Schloß m auern fast unerträglich gleißend zurückgeworfen. Gaston hob die Hand, um seine Augen abzuschir m en, und m usterte F ontrailles nachdenklich. W i e er gehört hatte, war d e m Herzog von Soissons in der Schlacht von La Marfée ein m erkwürdiger U nfall widerfahren; der o ff i zielle Beric h t in d e r Gazette b esagte, er h abe das Vi s ier sei n es Hel m es m it der Pistole hochgeklapp t , aus der sich dabei ein Schuß gelöst hatte. Monsieur hatte kei n en Mo m ent daran geglaubt, aber keine andere Erklärung gefunden als die, die ihm ohnehin die liebste war: Im Zweifelsfall war an e i n e m Unglück im m er der Kardin a l schuld.
Wenn er es recht überlegte, war es andererseits un w ahrsc h einlich, daß der Kardinal Soissons u m b r ingen ließ, ohne vorher die Möglichkeit wahrgenom m en zu haben, ihn zu befragen. Er hatte, weiß Gott, schon oft genug bewiesen, daß er k e ine Skrupel besaß, Mitglieder des Hochadels zu beha n deln wie ge m eine Gef a ngene. W as Fontrailles jetzt andeutete, warf ganz n e ue Perspektiven auf. Gas t on hatte Cinq Mars die wenigen Male, die er ihm beg e gnet war, instinktiv verabscheut und für einen dümmlichen Schönling gehalten, aber
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