Die Schatten von La Rochelle
ihren Brüdern, dem spanischen König und dem Kardinal-Infanten, korrespondierte, hatte sie keine Nachric h t m ehr aus Spanien er h alten.
»Monsieur«, sagte Fontrailles, »Ihr seht m ich stumm vor B e wunderung angesichts Eures Weitblicks.«
Paul d’Irs d m asens blieb vor der Tür der Kammer stehen, die er für diese W oche in ei n er H erber g e ge m i etet hatte. E r sah auf die Klinke, auf den Boden, fand, was er suc h te, und konzentrierte sich. Das Holz, das der Erbauer dieses Hauses verwendet hatte, war nicht gerade von bester Quali t ät, sehr schalldurchlässig, ein Grund, w arum er sich d i e H e rberge aus g esucht h att e . Er hö r te, was er h ö r e n wollte, und ordnete es ein; eine Person, wah r scheinlich nahe des Fensters zur Linken.
Unwahrscheinlich, daß es sich um je m anden m it Erfahrung handelte, sonst hätte er Begleitung m itge b racht. Möglicherweise sollte es nur ein Einschüchterungsbesuch sein, eine m ü ndlich überbrachte Drohung… Olivares? F eldenstein? Einer der hiesigen Herren, der Verdacht geschöpft hatte? Gleichg ü ltig, er ging kein Risiko ein, obwohl die übliche Prozedur lästig war und La m e ntationen des W i rts nach sich ziehen würde.
Er sammelte sich; dann trat er die T ü r ein, warf sich auf die Person zur Linken und hatte ihr den Dolch schon an die Kehle gesetzt, ehe er er k annte, um wen es sich handelte. Er ließ sie los.
»Mada m e«, sagte er, »das ist eine Überraschung.«
Marie erhob sich langsam. Sie legte unbewußt eine Hand an den Hals und entgegnete ohne Zorn: » S o sieht es aus, obwohl ich nicht verstehe, weswegen. W a s habt Ihr erwartet, Monsieur? Daß ich wie ein kleines Mädchen darauf warte, bis Ihr m i ch das nächste Mal überrascht? Ist das Euer P r ivileg ? «
Sie hatte ei n e m erkwürdige Gabe, richtiger zu tr e ffen, als sie ahnte. Sie sollte nicht hier sein; noch nic h t. Er entschied sich für den Angriff. Seiner Erfahrung nach war e n Menschen in der Defensive am verwirrtesten und da m it verwundbarsten.
»Ihr scheint wenig Sorgen um Euren guten Ruf zu haben, Mada m e . Im übrigen würde m ich interessi e ren, wie Ihr m i ch gefunden habt.«
Sie wölbte eine Augenbraue und m achte ein erstau n t es Gesicht.
»Nun, Monsieur, auf Eure Einlad u ng hin. Ihr hattet m i ch aufgefordert, Eure Welt kennenzulernen, erinnert Ihr Euch? Nac h dem m ir Euer Bruder erzä h lte, d aß Ihr wie d er in der Stadt seid, m achte ich m i r also die Mühe und folgte Eurer Einladung.«
Es war nicht ganz einfach gewesen; aber Pater Colu m bans indianischem Freund, der Charlotte in den letzten Monaten im m er öfter besucht hatte, war es schließlich gelungen, die Herberge zu finden, in der ein Mann, auf den Paul d’Irs dm asens’ B e schreibung paßte, logierte. Marie hatte jed o ch nic h t die Absicht, i h m das m itzuteilen. Sollte er ru h ig glauben, sie habe die Adresse von Raoul, der ihr errötend und stotternd m it der zie m lich durchsichtigen Lüge gekom m en war, er wis s e nic h t, wo sein Bruder sich aufhalte. Sie wußte, wann sie die Oberhand besaß, und sie war entschlossen, das zu genießen.
» W as m einen Ruf betri f ft…« Sie wies auf die Maske, d i e sie auf den Stuhl gelegt hatte. »Im übrigen vertr a ue i c h auf Eure Ehre als Edel m ann.«
Paul betrachtete sie forschend. S i e konnte nicht so selbstsicher sein, wie sie sich gab, es sei denn, er hätte sie falsch ein g eschätzt, und das war unwahrscheinlich. Aber die Tatsache, daß sie hier war und seine Klinge an ihrer Halsschlagader gespürt hatte, ohne sich davon Furcht einjagen zu lassen, b e wies, daß sie nicht nur mutiger, sondern auch gefährlicher war, als er geglaubt hatte. Sie griff nach ihrer Maske, einem roten Gebilde aus S a m t , das i hn vage an italienische Ko m ödianten erin n erte. Es bedeckte ihr Gesicht völlig. Nur die Augen, diese nur allzu vertrauten Augen, blieben frei, und das Haar.
»Gehen wir, Monsieur?«
» W ohin, Mada m e ? «
»In Eure W e lt.«
Es war eine Herausforderung, der er nicht widerstehen konnte. Und wenn er seine Pläne ein wenig u m ändern m ußte, was tat das? Ja, m an mußte sie näherziehen, sie Schritt für Schritt in die Dunkelheit hineinführen, die ihn nun schon so lan g e u m gab, daß es ihm schwerfiel, sich an etwas anderes zu erinnern.
Er wußte von ihren Besuchen im Hôtel-Dieu und anderen Hospitälern, daß sie m it dem E l end an sich vertraut sein m ußte, aber er nahm an, daß sie nur dessen
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