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Die Schatten von La Rochelle

Die Schatten von La Rochelle

Titel: Die Schatten von La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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rührende, beschwichtigende Seite kannte; Ar m e, die ihr für ihre Hilfe dankten.
    Er verließ das Marais und ging m it ihr zum Pl a ce de Greve. Unterwegs fragte er sie, woher die Maske stam m e.
    »Das Geschenk eines guten Freundes aus Italien m it einer Vorliebe für d i e commedia del l ’ arte.«
    »Nun, Mada m e, Ihr seid belesen, wie ich weiß. Kennt Ihr auch die Divina Commedia? Ich habe m i ch oft gefragt, ob Dante an so etwas gedacht hat, als er die Hölle beschrieb.«
    Er wies auf die Menge, die zu der Mitte des Platzes drängte, wo tra d itio n ellerweise die Hinrichtungen stattfanden. »Heute gibt es keine Hexen oder Zauberer, was bedauerlich für den ar m en Sanson ist, denn an deren Überresten verdient er das m eiste. Aber ein Mörder verspricht auch ein schönes Spektakel.«
    » W er ist Sanson ? « fragte sie leise.
    »Der Henker von Paris, Mada m e.«
    Einige Marktfrauen hatten ihre Körbe m itgebrac h t, auf die sie sich, wenn sie einen Flecken direkt um den Richtplatz ergattern konnten, setzten. Doch den m eisten Leuten blieb nichts anderes übrig, als zu stehen. Sie stießen, schoben, dräng t en, fluchten und johlten. Der Gestank und die Hitze verursachten M a rie Übelkeit, aber sie war entschlossen, keine Schwäche zu zei g en. Einige Jungen verkauften laut schreiend Flugblätter.
    »Kauft, Mada m e! Lest! Die ungeheuerliche, aber wahre Geschichte von Nicolas dem Schlitzer und sei n en Verbrechen!«
    Sie blickte auf das kleine dreckige Gesicht, das sich zu ihr e m porreckte, und schüttelte den Kopf. Doch Paul d’Irsd m asens zog so schnell, daß sie es kaum m it den Augen erfassen konnte, eine Münze hervor, gab sie dem Jungen und nahm das Flugblatt entgegen.
    »Danke, Messire, tausend Dank! K a uft, gute Leute, kauft und lest die ungeheuerliche…«
    Während der Junge schnell in d e r Menge verschwand, stellte Paul d’Irsd m asens nüchtern fest: »Ich hoffe, es m acht Euch ni c hts aus, daß Ihr eben Eure Börse verloren habt, Mada m e.«
    Sie griff unwillkürlich nach dem k l einen Beutel, den sie wie üblich zwischen ihren Rockfalten trug, und stellte fest, daß er recht hatte.
    »Aber«, sagte sie entgeistert, »wenn Ihr wußtet, daß er m ich bestohlen hat, warum habt Ihr ihm dann auch noch Geld gegeben ? «
    » W ohltätig k eit, Ma d ame«, antwortete er spöttisch. Er strich das Flugblatt glatt und überflog es, während die Leute um sie zu raunen begannen. Marie sah einen m uskulösen Mann, dessen Gesicht und Schultern von einer roten Kapuze bedeckt waren und der eine Axt trug. Das mußte der Henker sein. Ihm folgte auf d e m Ar m esünderkarren eine verdreckte, kleine Ges t alt, von der im Mo m ent nur die Hände deutlich zu sehen waren, die sich an die Stäbe des W agens klam m erten, in dem sie hockte. D e r Kopf lag fast auf den Knien. Neben und hinter dem Karren schritten die Büttel und ein Mönch, der leise betete, was m an nur in d e r mo m entanen kurzen Stille h ö ren konnte, danach nicht m ehr. Die Menge hatte o f fensichtlich eine eindrucksvollere Gestalt erwartet, d e nn sie fing an, zu zischen und zu buhen wie die Zuschauer im Hôtel Bourgogne, im Marais oder auf dem Faubourg Saint-Ger m ain, wo d i e drei lizensierten Schauspielertruppen der Stadt ihre Stücke aufführten.
    »Nicolas!« rief eine Frau schrill. » Z eig uns deine Fresse, du Mörder!«
    Mehr und mehr Menschen schloss e n sich ihr an, bis ganze Gruppen schließlich brüllten: »Zeig dich! Zeig dich!«
    Der Karren war vor dem Richtblock a ngelangt. Einer d e r Büttel t ra t zu dem Verurteilten und riß ihn hoch. Man sah, daß ihm zahlreiche Zähne fehlten, als er den Mund ö ffnete und schrie: »Gnade! Gnade!«
    Das Zischen und Buhen der Menge nahm zu. M arie ertrug es nicht m ehr. Sie s chloß die Augen und bedeckte ihre Ohren, doch Paul d’Irsd m asens riß i h re H ä nde zur Seite.
    »Ekelt Euch das an, Mada m e? W illkom m en in der W irklichkeit jens e its d er Salons. Vi el leic h t s eid Ihr neugierig, was die kleine Kreatur da vorne getan hat. Es ist e i ner der Bauern aus der Nor m andi e , der Nu-Pieds, wie m an sie genannt hat, e r innert Ihr Euch, Mada m e? Einer der A ufständischen, der m it dem Leben davonka m . Nur gab es nach dem Aufstand nicht m ehr viel, von dem er leben konnte, also ging der gute Nicolas in die große S tadt Paris, d ie Sta d t des Lichtes, den Stern unseres Königreiches. D ank seiner Erfahrung im Töt e n avancierte Nicolas se h r schnell z u m Chef einer

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