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Die Schatten von La Rochelle

Die Schatten von La Rochelle

Titel: Die Schatten von La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ernsthaft wird.«
    Wäre Raoul in einer katholischen statt in einer protestantischen Fa m ilie au f gewachsen, hätte e r sich jet z t be k reuzi g t. St at t dessen wich er zurück. Er u m klam m erte die Kanten des kleinen Tischs, bis sich Splitter aus d e m mürben Holz lösten und ihm die Finger zerstachen. Schließlich stieß er m it enger Kehle hervor:
    »Also ist es wahr, was sie alle im m er behauptet haben.«
    Ein Hauch von Mitleid und Bedauern le g te s ich für einen M o m ent über Pauls Augen, dann verschwand er wieder, und zurück blieben die undurchdringlichen Schilde.
    »Es ist spät. Geh ins Bett, Raoul.«
    »Ich werde sie warnen. Ich werde ihr erzählen, was du gesagt hast.«
    »Oh, sie weiß es.«
     

22. KAPITEL
     
    Es war ohnehin schwer genug gewesen, an all den Soldaten und Spionen vorbei unerkannt über die Grenze zu k o m m en, aber daß Olivares sich m it d e m König dann auch noch nicht ein m al in Madrid, sondern in Granada befand, war für Fontrailles fast entmutigend. Jetzt m ußte er quer durch das gan z e Land reisen, und sein Spanisch war nicht so gut, daß er sich a l s Einhei m i scher hätte ausgeben können. W enn m an ihn also nicht für einen französischen Spion hielt und aufhängte, war die Gefahr g r oß, daß er von den Agenten des Kardinals, d i e s i ch zweifellos eben f alls hier befanden, er ka nnt wurde.
    Reizende Z ukunftsaussichten, dachte Fontrailles, aber was bleibt m i r anderes übrig? Er w ar bucklig, und das hatte ihn schon um vieles im Leben gebrac h t, ei n schließlich der Zuneigung des Königs, die diesem Schönling Cinq Mars in den Schoß gefallen war, aber es gab m ehr als eine Art, zu Macht und Ansehen zu gelangen. Nur allzuhäufig verfielen die Me n sc h en dem Irrt um , seine äu ß ere M ißgestalt ha b e sich auch a u f seinen Geist ausgewir k t . Er würde ihnen bewei s en, daß er klüger w ar als all die Laffen bei Hofe, klüger auch als der Kardinal, der sei n e Mitar b eit ein m al abg e lehnt hatte. Es m ochte so gut wie un m öglich erscheinen, aber ihm w ü rde es gelingen: Eine Reise zu Kriegszeiten quer durch Spanien und wieder zurück über die Grenze nach Frankreich, ohne ein einziges Mal von der einen oder anderen Seite gefaßt zu werden.
    Fontrailles grübelte, bis ihm das Offensichtliche einfiel. Es war de m ütigend, aber einleuchtend, ger a dezu bestechend klar und einfach. Er verschnürte seine ge w ohnte Kleidung und zog als buckliger, stum m er und halbblöder Bettler dur c h die Lande, der nur ein paar Laute lallen konnte. Es war nicht eben die schnellste Art zu reisen, aber effektiv. Er m erkte sich für die Zukunft, wie viele Leute Bettler einfach ignorierten.
    Endlich in Granada a n gekommen, m ußte er sich wieder in den Marquis de Fontrailles verwandeln, um ernst genom m en zu werden, aber das war nun nicht m ehr weiter gefährlich. Schließlich hatte er seine Verbindungen, er wußte, an wen er sich w enden m uß t e. Als ihn Jose Gonzalez, der persönliche Anwalt des Grafherzogs O livares, zum Ersten Mini s t er v on Spanien führte, war er überzeugt, den schwersten Teil seiner Mission h inter sich gebracht zu haben. Selbst das noch m a lige Durchqueren des L andes schien in diesem Mo m ent m achbar.
    Olivares war nur zwei Jahre j ünger als Richelieu, und die beiden hatten einiges ge m einsam, doch w a s Fontrailles als erstes ins Auge stach, war der krasse U nterschi e d in ihrer Erscheinung. Wenn m an ihn früher gefragt hätte, wie er s i ch einen spanischen Gra n den vorstellte, hätte seine Beschreibung n i cht übel auf Richelieu gepaßt: dünn, stark hervorspringende W a ngenknochen, Adlernase, durchdringende schwarze Augen, und dazu kam noch, daß der Kardinal die Gabe hatte, größer zu ers c heinen, als er wirklich war.
    Olivares dagegen sah m an sofort an, wie sehr er das gute Essen liebte. Seine breite Gestalt m it dem lebhaften Gesicht und dem üppigen schwar z en Bart nei g te dazu, ei n e ge m ütliche Har m losigkeit vo r zutäuschen, die er nicht besaß. Er begrüßte Fontrailles herzhaft m it einem Schlag auf die Schulter. Fontrailles Hand fuhr unbewußt nach unten, in die Richtung seines Degenknaufs, doch dann besann er sich. Es wäre W ahnsinn gewesen, d i esen Ma n n zu einem Duell zu fordern; außerdem hatte Olivares es wahrscheinlich noch nicht ein m al böse g e m eint. Vielleicht, dac h te Fontr a illes selt s am berührt, v i elleicht hat er m i ch einfach begrüß t , wie er Cinq Mars auch

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