Die Schattenflotte
Schiffe», sagte er schließlich, nachdem Martin der Aufforderung nachgekommen war. «Wenn die Zahlen stimmen, sind zwei Schiffe für die Hapag nicht näher aufgeführt.»
«Stimmt», bestätigte Martin, nachdem er die Zeilen noch einmal still überflogen hatte. «Es fehlen zwei. Und Kiel wird als Werftstandort gar nicht erwähnt.»
«Genauso wie der Norddeutsche Lloyd nicht aufgeführt ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die zurzeit kein Schiff in Bau haben.»
«Die Rede war nur von Hamburger Reedereien», korrigierte Martin. «Aber trotzdem stellt sich die Frage, ob das mit den zwei fehlenden Schiffen Zufall oder Absicht ist. Vielleicht solltest du Ballin …»
«… noch einmal einen Besuch abstatten und darauf ansprechen? Die Idee ging mir auch gerade durch den Kopf. Sag mal, hast du die besagten Papiere hier im Haus?»
Martin zögerte einen Moment, dann nickte er schließlich.
«Und das willst du ihm einfach so unter die Nase halten?», fragte Martin, nachdem sie das Schreiben von Ballin anOtte noch einmal genau studiert hatten. «Das wäre ein Affront, wenn du mich fragst.»
«Er wird es nicht von der Hand weisen können», entgegnete Sören. «Hier, er schreibt wörtlich:
verbleibe mit dem Wunsch einer guten Zusammenarbeit …
Das hatte ich die ganze Zeit im Hinterkopf, aber ich war mir nicht mehr sicher. Allein die Formulierung deutet darauf hin, dass es sehr wohl einen Vertrag zwischen Hapag und der Schichau-Werft gibt.»
«Zumindest ist etwas in Aussicht gestellt», ergänzte Martin. «Wenn du ihm das Schreiben zeigst, dann bezichtigst du Ballin der Lüge. Und das, was du von seinem Nervenkostüm berichtet hast, lässt nichts Gutes erwarten.»
«Jedenfalls keine angenehme Plauderei, richtig. Aber weißt du eine Alternative?»
«Ehrlich gesagt nein. Nicht, wenn wir herausbekommen wollen, was es mit diesen Konten auf sich hat. Allerdings solltest du dir schon mal eine glaubwürdige Geschichte ausdenken, wie du an diesen Brief gekommen bist. Der Name Waldemar Otte wird fallen … und dann? Über das Ableben seines Geschäftspartners ist er womöglich informiert. Willst du ihm etwa erzählen, dass du annimmst, er könnte etwas mit dem Tod von Otte zu tun haben? Er wird dich hochkant rausschmeißen!»
Sören machte ein nachdenkliches Gesicht. Keine Frage, Martin hatte recht. Wortlos starrte er auf Ottes Papiere und Briefe, die ausgebreitet vor ihm lagen. Er wusste nicht mehr, wie oft er die Unterlagen schon durchgegangen war, war sich aber immer noch sicher, dass sie ein Geheimnis bargen, das sie bislang übersehen hatten. Ein Geheimnis, das einen Mord rechtfertigte. War es die Existenz dieser ominösen Konten, deren genaue Funktion sie sich nicht erklären konnten? Sören zweifelte keine Sekunde daran,dass angesichts einer solchen Größenordnung ein Menschenleben nichts zählte. Zumindest für den- oder diejenigen, die sich mit einem solchen Apparat einen kapitalen Vorteil versprachen. Aber hatte Otte überhaupt wissen können, welche Summen dort lagerten? Und wie war er überhaupt in den Besitz dieser Dokumente gekommen?
Blatt für Blatt und Zeile für Zeile ging er alles noch einmal durch. Martin hatte es sich derweil in seinem Sessel bequem gemacht und beobachtete Sören durch sein Weinglas hindurch. Die privaten Briefe von Otte gaben nicht den geringsten Hinweis auf irgendwelche Unstimmigkeiten oder sonstige Berührungspunkte zwischen Geschäft und privatem Leben. Er legte sie wieder beiseite und konzentrierte sich auf den Briefwechsel mit der englischen Werft Harland & Wolff. Wie er ja von Ballin erfahren hatte, ließ auch die Hapag Schiffe auf der Werft in Belfast bauen. Wenn es also um eine Ausschreibung ging, dann hätte sich die Schichau-Werft mit Sicherheit nicht bei einem Konkurrenzunternehmen über Erfahrungen im Bau von mit Turbinen angetriebenen Schiffen informiert. Andererseits stand die englische Werft nicht auf dem Verteiler des Schreibens der Hapag. Dort waren lediglich Werften aus Stettin, Geestemünde, Danzig und Hamburg aufgeführt. Zudem ging der Einsatz von Turbinen nicht aus den Vorgaben für den Bauplan des Schiffs hervor, sondern beruhte auf der Einschätzung der Schichau-Werft bezüglich der geforderten Leistung. Warum erklärte sich die Werft Harland & Wolff trotzdem sofort bereit, einen Mitarbeiter nach Hamburg zu schicken, um sich dort mit Waldemar Otte zu treffen?
An dieser Stelle stockte Sören jedes Mal – intuitiv fühlte er, dass hier etwas
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