Die Schattenflotte
nicht stimmte, aber er konnte es nicht benennen. Möglich, dass es nur daran lag, dass dasGeschäftsgebaren miteinander konkurrierender Unternehmen normalerweise anders aussah. Er wusste es nicht und legte den Brief wie jedes Mal unzufrieden auf den Stapel zurück.
Blieb noch das Schreiben aus dem Reichsmarineamt, das leider nicht vollständig war. Dummerweise fehlte der Briefkopf, sodass nicht ersichtlich war, an wen das Schreiben gerichtet war. Den wenigen Zeilen war nur zu entnehmen, dass es um eine Havarie auf der Ostsee ging, die sich im September letzten Jahres zugetragen haben musste. Demnach hatte ein nicht näher benanntes Schiff in rauer See einen Maschinenschaden davongetragen, und man bezweifelte, dass die angestrebte Geschwindigkeit überhaupt hätte erreicht werden können. Das Schreiben endete mit einem Verweis darauf, dass vergleichbare englische Schiffe inzwischen einen Geschwindigkeitsvorteil von mehr als fünf Knoten hätten, was aus verständlichen Gründen nicht hinnehmbar sei. Alle weiteren Details könne man bei besagtem Ortstermin im Januar besprechen. Wann und wo dieser Termin war, ging aus den Zeilen nicht hervor. Unterschrieben war der Brief von Staatssekretär Admiral von Tirpitz.
«Und wenn unsere bisherigen Überlegungen nun in eine völlig falsche Richtung zielen?», fragte Sören und machte einen tiefen Atemzug.
«Was meinst du?»
«Die Schichau-Werft in Danzig baut, wie andere Werften auch, Schiffe für die Kaiserliche Marine. Wenn du dir das Gelände von Blohm + Voss anschaust, dann könnte man denken, es sind fast nur noch Kriegsschiffe, die auf den Werften auf Kiel gelegt werden. So wie in den Kaiserlichen Marinehäfen in Wilhelmshaven und Kiel. Soweit mir bekannt ist, werden in Danzig vor allem Torpedobooteund kleine Kreuzer gebaut. So steht es in den täglichen Pressemeldungen über die Marine.»
«Aber die Hapag hat nichts mit der Marine zu tun.»
«Wer redet von der Hapag? Es geht um Ballin.»
Martin blickte Sören fragend an.
«Albert Ballin steht der Hamburger Sektion des Flottenvereins vor», erklärte Sören.
«Du meinst, die Konten gehören dem Flottenverein?»
«Das wäre doch denkbar, oder?»
«Aber warum dann dieses Geflecht? Warum die ganze Geheimniskrämerei? Das passt doch nicht.» Martin war irritiert. «Das Nachrichtenbureau des Reichsmarineamtes ist doch stets bemüht, die Werbetrommel zu rühren, und geht mit jedem noch so kleinen Erfolg an die Öffentlichkeit. Jede Kiellegung, jeder Stapellauf wird an die große Glocke gehängt. Und die Menschen feiern die
schwimmende Wehr der Nation
. Der Deutsche Flottenverein hat inzwischen bestimmt mehr als eine halbe Million Mitglieder, Tendenz steigend. Nicht einmal mehr die Abgeordneten des Zentrums blockieren die Vorlagen, die Tirpitz dem Parlament vorlegt. 1898 gab es noch Zweifler, aber vor zwei Jahren, als er mit der nächsten Flottenvorlage kam, hat man kaum noch Gegenstimmen vernommen.»
«Eben. Alle glauben, vom Flottenprogramm des Reichs profitieren zu können. Die Menschen sehen die entstehenden Arbeitsplätze, der Wirtschaft geht es prächtig. Nur außenpolitisch ist es ein riskantes Spiel, das Tirpitz treibt. Waffen dienen nicht nur der Abschreckung. Im Regelfall werden sie auch benutzt.»
«Deine mahnenden Worte in Ehren …» Martin rollte mit den Augen. «Darf ich dich daran erinnern, dass du Ilka im letzten Sommer einen Matrosenanzug gekauft hast.»
Sören blickte beschämt zu Boden. «Weshalb ich mitTilda ziemlich heftig aneinandergeraten bin. Es war unüberlegt von mir. Ich glaube, sie hat ihn weggeschmissen.»
«Eine Überlegung ist es jedenfalls wert», griff Martin den Faden wieder auf und machte nun plötzlich ein ernstes Gesicht. «Auch die Institutionen, die Gelder auf diese Konten transferieren, profitieren schließlich vom Flottenbau. Krupp an erster Stelle. Unklar ist mir hingegen immer noch, warum das Ganze im stillen Kämmerlein stattfindet. Die einzige Erklärung dafür wäre, dass da etwas im Busch ist, das keinesfalls an die Öffentlichkeit kommen soll. Zumindest momentan nicht.» Er blickte Sören eindringlich an. «Wir werden es herausbekommen.»
Auf dem Kiez
Der lang anhaltende, tiefe Ton aus dem Signalhorn sollte wohl ankündigen, dass es nun bald losging. Es gab bestimmt ein festgelegtes Reglement für die Nutzung der Nebelhörner, hier im Hafen war es bedeutungslos. Niemand störte sich an der Willkür. Ganz im Gegenteil. Der Klang der Nebelhörner gehörte zu den
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