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Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Uhr im Haus deiner Mutter abholen. Er meinte, du wüsstest Bescheid.»
    Sören stutzte einen Moment, dann griff er erneut nach ihren Händen und zog sie zu sich heran. «Dann bleiben uns ja noch zwei Stunden Schlaf.»
    «Ich bin aber gar nicht müde», entgegnete Tilda irritiert.
    Sören lächelte. «Ich auch nicht.»

Kaiserwetter
    Der Rumpf des Schiffes ragte trotz Hochwasser nur wenige Zentimeter über die steinerne Vorsetze der Werft. Vor der stählernen Wand des dahinter liegenden Docks wirkten die Aufbauten des Linienschiffes fast zierlich. Sören warf einen Blick über die Kaimauer. Die gedrungene Form des Schiffes zeichnete sich nur schemenhaft in der Dunkelheit ab. Die dünnen Rauchfahnen aus den beiden mächtigen Schornsteinen signalisierten, dass das Schiff bereits unter Dampf stand, aber bis auf die Positionslaternen in den Masten und ein schummriges Flackern hinter den winzigen Scheiben gab es keine weiteren Anzeichen dafür, dass bereits jemand an Bord war. An Deck war niemand zu sehen. Auch die offene Kommandobrücke über dem Gefechtsstand war nicht besetzt. Ganz entfernt war ein sanftes Brummen aus dem Inneren des Schiffsrumpfes zu vernehmen. Es klang fast beruhigend, aber je genauer Sören die Silhouette des Linienschiffes in Augenschein nahm, desto mehr wirkte es, als blickte ihn das Schiff grimmig an. Die Kasemattengeschütze schienen in alle Richtungen zu zielen, und die Rohre des riesigen Geschützturmes, die bedrohlich über dem Vordeck schwebten, kamen Sören wie die Beißwerkzeuge eines Insekts vor.
    Der Wind hatte aufgefrischt und blies mit mindestens sechs Beaufort aus West. Sören war noch nie auf einem vergleichbaren Schiff gewesen, und da Kriegsschiffe nichtunbedingt für einen gehobenen Reisekomfort konstruiert wurden, war ihm klar, dass die Ausfahrt alles andere als eine Spazierfahrt werden würde. Er neigte zwar nicht zur Seekrankheit, aber angesichts der Tatsache, dass er den Großteil der Fahrt unter Deck würde verbringen müssen, war Sören etwas mulmig zumute. Für ein Zurück war es freilich zu spät.
    Der Proviantmeister hatte ihn nur kurz gemustert und dann zustimmend genickt. Schmidlein hatte dem Parteigenossen schwören müssen, dass Sören kein Anarchist war, der einen Anschlag plante, denn mit der Prüfungskommission kamen nicht nur ranghohe Offiziere der Marine an Bord des Schiffes, sondern mit von Tirpitz auch hohe Würdenträger des Reichs. Ob Seine Majestät persönlich an der Fahrt teilnehmen würde, war indes immer noch unklar. Allerdings hatte man bereits entsprechende Vorbereitungen getroffen. Es hieß, Marinestab, Kommission und Gäste würden mit der Bahn anreisen und direkt auf das Betriebsgelände der Werft geleitet werden. Die personelle Besetzung der Kommission war zwar bekannt, doch die meisten Namen kannte Sören allenfalls vom Hörensagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihn jemand erkennen könnte, war damit so gut wie ausgeschlossen.
    Proviantmeister Müller hatte Sören kurz über Protokoll und Benimmregeln aufgeklärt, da er als Aufdecker mit zwei weiteren Stewards für die Versorgung der Gäste in der Deckoffiziersmesse zuständig war. Lars und Otto machten einen sympathischen Eindruck, waren jedoch weitaus jünger als Sören. Überraschend, aber zugleich beruhigend fand Sören den Umstand, dass auch Schmidlein während der Fahrt an Bord sein würde. Fast die ganze Abteilung für Wissenschaftliches Versuchswesen nahm daran teil, denn Schmidleins Chef, ein gewisser HermannFrahm, der Leiter der Abteilung, wollte während der Fahrt irgendwelche Schwingungen messen. Mehr Details kannte Schmidlein noch nicht, da er ja erst wenige Tage dabei war, aber Frahm hatte anscheinend ein besonderes Auge auf den Neuen geworfen, nicht nur weil er an der gleichen Hochschule in Hannover studiert hatte, sondern wohl auch weil Schmidlein seine bisherigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen über Resonanzen und Schwingungen gelesen hatte. Sören musste an Martin und dessen fragwürdige medizinische Behandlung denken. Schwingungstheorien waren zurzeit offenbar nicht nur bei Medizinern en vogue.
    Bereits nach wenigen Schritten an Bord bemerkte Sören das leichte Vibrieren, das durch das ganze Schiff ging. Er musterte die massiven Stahlplatten der Aufbauten, deren Dimension beeindruckend war. Man konnte sich kaum vorstellen, dass es Geschosse gab, welche diesen Stahl durchschlagen konnten. Dann fielen ihm Schmidleins Worte über die weitere Entwicklung bei der Aufrüstung

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