Die Schattenflotte
«Phänomenal», meinte Kommandant Zenker. «Man könnte meinen, auf einem Torpedoboot zu sein, so leichtfüßig wirkt es.»
«In der Tat.» Admiral von Koester saugte aufgeregt an seiner Pfeife. «Können Sie Auskunft darüber geben, welche Leistung jetzt anliegt?»
«Schätzungsweise 15 000 PS», warf Oberingenieur Winter ein. «Das Problem ist, dass wir bislang keine geeignete Methode gefunden haben, die uns über die effektive Leistung der Turbinen Auskunft gibt. Was bei Expansionsmaschinen kein Problem darstellt, ist bei Turbinen nicht so ohne weiteres möglich. Aber wir arbeiten dran.»
Sören horchte auf. Das also war das große Geheimnis, welches das Schiff umgab: Es fuhr mit Turbinenantrieb. Sören wusste von dieser neuen Antriebsart nur, dass man Wasserdampf entlang der Antriebswelle strömen ließ, der die Welle über kreisförmig angeordnete Schaufeln zum Drehen brachte. Ein Antrieb, der ganz anders als die bisherigen Expansionsmaschinen funktionierte. Die einzelnen Vor- und Nachteile waren ihm hingegen nicht geläufig. Aber wenn man für den Antrieb dieses Linienschiffes bereits funktionierende Dampfturbinen verwendete, was hatte es dann mit der Anfrage von Waldemar Otte auf sich gehabt? Sören brauchte nicht lange zu überlegen, bis er die Lösung parat hatte. Es war ein militärisches Geheimnis. Niemand sollte davon Kenntnis haben, und Otte hatte sich mit seiner Anfrage ausgerechnet an eine Werft gewandt, auf der englische Kriegsschiffe gebaut wurden.
So langsam dämmerte ihm, worum es gehen musste. Allerdings beruhte die Turbinentechnik auf der Erfindung eines Engländers, von daher war es kaum nachzuvollziehen, dass man die Einführung von Reichsseite als militärisches Geheimnis einstufte, denn wahrscheinlich waren die Engländer in der Entwicklung bereits viel weiter. Außerdem maß dieses Linienschiff nie und nimmer 160 Meter. Eine Geschwindigkeit von 24 Knoten solltees dagegen ohne Mühe schaffen, wenn bei zehn Knoten Fahrt noch nicht einmal die Hälfte der möglichen Turbinenleistung abgerufen wurde. Aber war das Schiff nicht längst in Bau gewesen, als Otte sich an die Werft Harland & Wolff gewendet hatte? Demnach plante man wohl den Bau eines noch größeren Schiffes. Sören war gespannt, was er darüber noch erfahren würde.
Als sie Glückstadt passierten, war die Morgendämmerung bereits so weit fortgeschritten, dass man Häuser und Höfe hinter dem Deichvorland erkennen konnte. Die Aussicht war allerdings durch die relativ kleinen Scheiben der Brücke begrenzt. Einige der Anwesenden hatten sich auf die offene Kommandobrücke gewagt. Der Wind pfiff Sören entgegen, als er nach draußen trat. Admiral von Koester und Oberleutnant Raeder standen mit hochgeschlagenem Kragen neben von Tirpitz, der die Hände in den Rocktaschen hielt.
«Noch etwas Kaffee zum Aufwärmen?», fragte Sören und schenkte von Koester, der ihm bereitwillig seinen Becher hinhielt, aus der stählernen Kanne nach.
«Ein Grog wäre mir bei diesen Temperaturen lieber», entgegnete von Tirpitz, und Sören machte sofort Anstalten, dem Wunsch nachzukommen. Doch der Admiral winkte ab. «Sehr aufmerksam, vielleicht komme ich später darauf zurück.» Dann wendete er sich wieder dem Generalinspekteur zu. «Werden wir in Brunsbüttel auf das Schiff warten müssen?»
Von Koester nippte an seinem Becher und schüttelte den Kopf. «So, wie es geplant ist, wird das Schiff bereits dort sein. Wer von den Anwesenden ist überhaupt eingeweiht?»
«Von Heeringen und Zenker natürlich, Kapitänleutnant Strasser und Kommandant Hipper sind auch involviert.Außerdem die Männer von der Germania-Werft sowie mein Stab. Ich habe Seiner Majestät vorhin zu verstehen gegeben, dass die Rückfahrt nicht, wie ursprünglich vorgesehen, von Wilhelmshaven aus in Angriff genommen wird, aber er hat sich nicht wirklich dafür interessiert. Vielleicht ist ihm die Notwendigkeit der Geheimhaltung noch nicht ganz klar. Er denkt nach wie vor in der Größenordnung der bisherigen Geschwader und Divisionen. Ich hoffe, er hat meine kleine Schummelei …»
Von Koester unterbrach den Admiral mit einem lauten Räuspern, als Seine Majestät auf den Brückenstand trat. Der Kaiser nickte wohlwollend, dann griff er mit einer Hand an die Reling und streckte die Nase in den Wind. «Ein wirklich ausgezeichnetes Schiff, wie ich finde, nicht wahr, meine Herren?»
«So, wie wir es erhofft haben, Eure Majestät», antwortete von Tirpitz. «Natürlich wird
Weitere Kostenlose Bücher