Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
Vom Netzwerk:
unauffällig im Hintergrund zu halten. Auf schlichten Tabletts hielt man Sektgläser bereit. Der Raum war erfüllt vom Lärm abgehackter, unvollständiger Sätze.
    Von den anwesenden Personen war Sören kaum jemand bekannt. Unter den Zivil tragenden Gästen war Wiegand, der Chef des Norddeutschen Lloyds, kaum zu übersehen, da er aufgrund seiner Größe ständig den Kopf einziehen musste. Schließlich erkannte Sören auch Admiral von Tirpitz, eine eher kleine, unscheinbare Person, aber durch den mächtigen grauweißen Doppelspitzbart eindeutig zu identifizieren. Ganz im Gegensatz zum Heer trugen die Herren Offiziere zur See vorrangig Koteletten, Backen- und Vollbart. Gezwirbelte Schnauzer, wie man sie aus Hochachtung vor Seiner Majestät zu tragen pflegte, sah man hier nur vereinzelt. Das Gros der Anwesenden war mit einem knielangen dunkelblauen Rock gekleidet, darunter trug man weiße Hemden mit Eckkragen und schwarzem Querbinder, nur wenige trugen Kurzjacken und weiße Querbinder.
    Nach und nach bekam Sören die Namen der Anwesenden mit. Neben dem Stab vom Reichsmarineamt waren das Generalinspekteur Admiral von Koester und Kapitän zur See von Heeringen, der zukünftige Kommandant des Schiffes, um die sich die meisten gruppiert hatten. Unter ihnen befand sich Kommandant Hans Zenker und Flottillenchef Hipper von der Torpedoboot-Division,Kapitänleutnant Strasser von der zweiten Werftdivision Wilhelmshaven, Korvettenkapitän Scheer sowie Oberleutnant Raeder. Und dann entdeckte Sören tatsächlich ihn, Seine Majestät Wilhelm   II., in bescheidener Aufmachung, mit einer Hand lässig die ihm von allen Seiten offenbarten Wertschätzungen und Schmeicheleien abweisend. Ein süffisantes Grinsen umspielte seine Mundwinkel: «Lassen Sie   … meine Herren   …, wir sind doch unter uns.»
     
    Um halb neun wurden die Leinen losgeschmissen, und das Schiff legte ab. Pünktlich auf die Minute. Der Boden unter Sörens Füßen vibrierte etwas stärker, das Schiff neigte sich kaum, aber das würde sich in absehbarer Zeit ändern. Glaubte man der Wettervorhersage, dann sollte der Wind über den Tag nochmals auffrischen. Spätestens wenn das Linienschiff die offene See erreicht hatte, würden alle durch die Gänge schwanken und abwechselnd mit den Händen nach den eisernen Haltegriffen und Geländern fassen, die überall auf den Gängen und Fluren angebracht waren.
    Während Sören überlegte, ob bei entsprechendem Seegang überhaupt noch Speisen außerhalb der dafür vorgesehenen Räumlichkeiten serviert werden konnten, teilten sich die Anwesenden in die unterschiedlichen Sektionen des Schiffes auf. Kommandanten und Kapitäne folgten dem Ruf des Steuermanns auf die Brücke, die anderen Offiziere sowie der Stab des Reichsmarineamtes, Seine Majestät und die verbleibenden Zivilisten quartierten sich in der Deckoffiziersmesse ein, wo Kaffee und Gebäck gereicht wurden. Nur die Werftbaumeister und führende Techniker zogen sich ins Besprechungszimmer zurück, um die konstruktiven Details des Schiffes erörtern zukönnen. Schmidlein hatte Sören bislang noch nicht entdeckt.
    Nachdem sie Schweinesand hinter sich gelassen hatten, gab Kapitän Wahlen das Kommando, die Maschinenleistung zu erhöhen. Das Echo aus dem Maschinenraum kam ohne Verzögerung, und man merkte sofort den erhöhten Schub, mit dem der stählerne Koloss durch die Wellen stampfte.
    «Zehn Knoten   … und wir sind noch ein gutes Stück von Halber Kraft entfernt», kommentierte Wahlen zufrieden und blickte stolz auf den Telegraphen.
    Die Anwesenden machten ernste Gesichter. «Werden wir bei dem Seegang die volle Leistung testen können?», fragte Korvettenkapitän Scheer. Er wirkte etwas beunruhigt.
    Kapitän Wahlen schaute ihn amüsiert an. «Das ist hier noch gar nix. Warten wir mal ab, wie sich der Pott verhält, wenn wir Brunsbüttel passiert haben und sich die See aufbaut.» Mit einem knappen Kommando ließ er die Maschinenleistung abermals erhöhen, dann konzentrierte er sich auf die Fahrrinne. «Steuert sich wie ein Dingi, das Schiff. Wollen Sie mal kurz übernehmen?», fragte er von Heeringen, der direkt neben ihm stand.
    Von Heeringen winkte ab. «Machen Sie mal, bis wir aus der Enge sind. Auf Höhe Cuxhaven übernehme ich dann gerne.»
    Zwischenzeitlich waren auch die anderen aus der Offiziersmesse auf die Brücke gekommen und nahmen mit erstauntem Gesicht zur Kenntnis, wie Wahlen das Schiff mit mehr als zehn Knoten Fahrt durch die Fahrrinne zirkelte.

Weitere Kostenlose Bücher