Die Schattenflotte
«Auf meine Familie kann ich mich verlassen. Solange ich nicht genau weiß, wer alles in die Sache verwickelt ist, muss ich vorsichtig sein.» Er machte sich auf in Richtung Droschke, und Sören folgte ihm. «Erst wenn wir den genauen Zielort kennen, können wir zuschlagen.»
«Wir?» Sören blickte ihn fragend an.
«Natürlich habe ich Vorsorge getroffen», erläuterte Völsch. «Wenn man den Rang eines Leutnants hat, dann kann man schon mal selbständig bei einer anderen Abteilung um Amtshilfe bitten, ohne dass das gleich an die große Glocke gehängt wird. Ich habe den Kollegen vom Gewerbewesen nahegelegt, heute Nacht die Vorkehrungen für eine kleine Razzia zu treffen. Die Kollegen stehen also bereit. Und die Information, wo die Razzia genau stattfinden soll, erhalte ich eben erst kurzfristig. Man wartet nur auf meine Nachricht. Anfangs war ich nicht sicher, ob das so klappen wird, wie ich es mir vorstelle, aber nachdem die Pinasse auch heute gekommen ist, kann ich wohl davon ausgehen, dass es keine undichte Stelle gibt. – Kommen Sie, mein Schwager erwartet mich an den Landungsbrücken. Bis wir dort sind, wird entwederer oder sein Bruder wissen, wohin man die Männer gebracht hat. Der Rest ist ein Kinderspiel.»
«Es war alles umsonst», stöhnte Sören. Tilda hatte voller Ungeduld auf ihn gewartet. Nun stand sie hinter ihm und massierte zärtlich seine Schultern. «Und dabei hat es so vielversprechend angefangen. Genau wie Egon Völsch vermutet hatte, sind die Männer an den Landungsbrücken von Bord gegangen. Der Schwager von Völsch ist ihnen heimlich gefolgt und erwartete uns mit der Adresse an der verabredeten Stelle, und auch die Beamten von der Gewerbepolizei waren, wie von Völsch geplant, einsatzbereit. Der Bezirkskommissar, ein guter Freund von Völsch, wie sich hinterher herausstellte, hatte zusätzlich zu den eigenen Leuten sogar noch einige Revierwachtmeister von der Davidwache akquiriert. Alles war eigentlich perfekt vorbereitet, und keiner von uns kann sich erklären, was schief gelaufen ist. Jedenfalls muss der Schwager von Völsch von den Männern getäuscht worden sein. Wahrscheinlich haben sie bemerkt, dass sie verfolgt wurden. Bei der Adresse handelte es sich nämlich nicht um eine Lokalität, wo man verbotenem Hasardspiel oder Ähnlichem nachgehen konnte, sondern um ein gewöhnliches Mietwohnhaus. Entsprechend schnell war die geplante Razzia auch beendet. Die Polizisten haben die Wohnungen zwar durchsucht, aber von den Männern hat man niemanden finden können.
Du machst dir keine Vorstellung davon, was hinterher auf der Wache los war. Der Bezirkskommissar ist wie eine Furie auf Völsch los und hat ihn vor versammelter Mannschaft zur Schnecke gemacht. Von mir hat er überhaupt keine Notiz genommen, und so habe ich mich dann auch schnell verdrücken können. Aber in Völschs Hautmöchte ich jetzt nicht stecken. Wegen seines Alleingangs droht ihm natürlich eine Menge Ärger. Es war ein idiotischer Fehler, sich auf die Angaben seines Schwagers zu verlassen. Und dabei waren wir genau auf der richtigen Spur. Jetzt muss man natürlich davon ausgehen, dass die nächtlichen Exkursionen erst einmal eingestellt werden, bis sich die Wogen geglättet haben und man sich wieder sicher fühlt. Eine Riesenschweinerei bleibt das Ganze trotzdem. Offiziell will man die Auswanderer davor schützen, dass sie vor Fahrtantritt in der Stadt ausgenommen und um ihre Ersparnisse gebracht werden, unter anderem deshalb sperrt man sie unter Quarantäne in eine entfernt gelegene Einrichtung, und dann schleppt man sie hintenrum wahrscheinlich gezielt in genau solche Etablissements. Jedenfalls weiß ich jetzt, wie Simon Levi nach St. Pauli gekommen ist.»
«Und was willst du tun?»
Sören lehnte seinen Kopf an Tildas Brust. «Keine Ahnung. Die Beweislage liegt annähernd bei null. Alle werden alles abstreiten.»
Tilda streichelte Sören über die Wange. «Du hast ja schon wieder Bartstoppeln.»
«Du brauchst keine Angst zu haben. Ich lasse mir keinen neuen Bart wachsen.» Sören griff nach ihren Händen. «Bist du gar nicht müde?»
«Ich bin viel zu aufgeregt, um müde zu sein», antwortete sie. «Die Sache nimmt mich mehr mit, als du denkst. Übrigens hat sich dieser Schmidlein gemeldet …»
Sören drehte sich abrupt zu ihr um. «Und?»
«Du sollst ihn …» Sie blickte zur Standuhr, um sich zu vergewissern, wie spät es inzwischen war. Mitternacht war längst vorüber. «Du sollst ihn um vier
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