Die Schattenhand
Farbe sich heftig mit dem Rest der Strumpfhose biss, nicht eben ein Meisterwerk war.
«Es ist viel ungemütlicher als mit Loch», sagte Megan.
«So sieht es auch aus», stimmte ich zu.
«Kann Ihre Schwester gut stopfen?»
Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich Joanna jemals irgendeine Arbeit dieser Art hatte verrichten sehen.
«Ich weiß es nicht», musste ich gestehen.
«Na ja, was macht sie denn, wenn ihre Strumpfhose ein Loch hat?»
«Ich glaube», sagte ich widerstrebend, «sie schmeißt sie weg und kauft sich eine neue.»
«Sehr vernünftig», urteilte Megan. «Aber das kann ich nicht. Ich bekomme jetzt ein Taschengeld, aber nur vierzig Pfund im Jahr. Damit kommt man nicht weit.»
Ich gab ihr Recht.
«Wenn die Strumpfhosen wenigstens schwarz wären, könnte ich meine Beine schwarz anmalen», sagte Megan traurig. «Das habe ich in der Schule immer gemacht. Miss Batworthy, die Lehrerin, die unsere Näharbeiten kontrolliert hat, war blind wie ein Maulwurf. Das war ungeheuer praktisch.»
«Das denke ich mir», sagte ich.
Wir schwiegen, während ich meine Pfeife rauchte. Es war ein sehr kameradschaftliches Schweigen.
Megan brach es, indem sie unvermittelt und heftig fragte: «Sie finden mich sicher auch grässlich, wie alle anderen?»
Ich erschrak derart, dass mir die Pfeife aus dem Mund fiel. Es war eine Meerschaumpfeife, die gerade begonnen hatte, sich schön gelb zu färben, und sie zerbrach. Ärgerlich sagte ich:
«Jetzt schau, was du angerichtet hast.»
Und dieses eigenartigste aller Kinder heulte nicht etwa los, sondern grinste nur breit.
«Ich mag Sie», erklärte sie.
Es war eine herzerwärmende Bemerkung. Es war eine Bemerkung, wie man sie, vielleicht irrigerweise, von seinem Hund erwarten würde, wenn Hunde sprechen könnten. Mir kam der Gedanke, dass Megan zwar aussehen mochte wie ein Pferd, vom Wesen her aber eher einem Hund ähnelte. Vielleicht war sie wirklich kein richtiger Mensch.
«Was sagtest du gleich vor dem Malheur?», fragte ich, während ich vorsichtig die Scherben meiner geliebten Pfeife auflas.
«Dass Sie mich sicher grässlich finden», wiederholte Megan, allerdings in einem völlig anderen Ton.
«Warum sollte ich das?»
Und düster antwortete sie: «Weil es stimmt.»
«Red keinen Blödsinn», sagte ich scharf.
Megan schüttelte den Kopf.
«Genau das ist es. Ich rede keinen Blödsinn. Die Leute denken nur, ich bin blöd. Sie wissen nicht, dass ich insgeheim genau über sie Bescheid weiß und dass ich sie hasse dafür.»
«Du hasst sie?»
«Ja», sagte Megan.
Ihre Augen, melancholisch, unkindlich jetzt, sahen geradewegs in meine, ohne ein Blinzeln. Es war ein langer, trauervoller Blick.
«Sie würden die Leute auch hassen, wenn es Ihnen ginge wie mir», sagte sie. «Wenn Sie unerwünscht wären.»
«Meinst du nicht, dass du das ein bisschen pessimistisch siehst?», fragte ich.
«Ja», sagte Megan. «Das sagen die Leute immer, wenn man die Wahrheit sagt. Und es ist die Wahrheit. Ich bin unerwünscht, und das wundert mich gar nicht. Mutter kann mich nicht ausstehen. Ich erinnere sie anscheinend an meinen Vater, der sie schlecht behandelt hat und überhaupt ziemlich schrecklich gewesen sein muss. Nur können Mütter nicht gut sagen, sie wollen ihre Kinder nicht, und einfach weggehen. Oder sie auffressen. Katzen fressen ihre Jungen, wenn sie sie nicht haben wollen. Sehr schlau eingerichtet, finde ich. Keine Verschwendung, keine Sauerei. Aber Menschenmütter müssen ihre Kinder behalten und für sie sorgen. Solange sie mich ins Internat abschieben konnten, ging es noch – aber eigentlich wäre es ihr am liebsten, es gäbe nur sie und meinen Stiefvater und die Jungs.»
Ich sagte langsam: «Ich glaube ja nach wie vor, dass du überreagierst, Megan, aber angenommen, was du sagst, entspricht zumindest teilweise den Tatsachen, warum gehst du dann nicht fort und führst dein eigenes Leben?»
Sie lächelte ein unkindliches Lächeln.
«Sie meinen, ich soll einen Beruf ergreifen? Meinen eigenen Lebensunterhalt verdienen?»
«Ja.»
«Womit?»
«Du könntest eine Ausbildung machen. Stenographie – Buchhaltung.»
«Ich glaube nicht, dass ich das könnte. Ich stelle mich immer so dumm an. Und außerdem…»
«Was?»
Sie hatte ihr Gesicht abgewandt, jetzt kehrte sie es mir langsam wieder zu. Es war dunkelrot, und in ihren Augen standen Tränen. Nun klang sie wieder wie ein Kind.
«Warum soll ich weggehen? Warum soll ich mich vertreiben lassen? Sie wollen mich nicht,
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