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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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förderten freilich nur unbefriedigende Antworten zutage. Auf meine Frage, warum Mrs Cleat anonyme Briefe schreiben sollte, sagte Mrs Baker ausweichend: «Das tät ihr ähnlich sehen.»
    Schließlich schickte ich sie ihrer Wege, nicht ohne ihr noch einmal ans Herz gelegt zu haben, dass sie zur Polizei gehen solle – ein Rat, von dem klar war, dass Mrs Baker ihn nicht befolgen würde. Ich hatte den deutlichen Eindruck, dass ich sie enttäuscht hatte.
    Ich ließ mir ihre Worte durch den Kopf gehen. An Beweisen haperte es zwar – aber wenn alle im Dorf glaubten, dass Mrs Cleat die Übeltäterin war, dann hatten sie damit wohl Recht. Ich beschloss, die Sache mit Owen Griffith zu besprechen. Bestimmt kannte er diese Cleat. Wenn er es für ratsam hielt, konnte einer von uns beiden der Polizei einen Hinweis geben, wer hinter diesem wachsenden Ärgernis steckte.
    Ich wählte meine Ankunftszeit so, dass Griffith bald mit seiner Sprechstunde fertig sein musste. Als der letzte Patient gegangen war, trat ich ins Sprechzimmer.
    «Ah, Sie sind’s, Burton.»
    Ich umriss meine Unterredung mit Mrs Baker und nannte ihm Mrs Cleat als die mutmaßliche Schuldige. Zu meiner nicht geringen Enttäuschung schüttelte Griffith den Kopf.
    «So einfach ist das nicht», sagte er.
    «Dann halten Sie es also nicht für möglich, dass diese Cleat dahinter steckt?»
    «Möglich wäre es schon. Aber äußerst unwahrscheinlich.»
    «Und warum wird sie dann von allen verdächtigt?»
    Er lächelte.
    «Nun», sagte er, «das können Sie nicht wissen, aber Mrs Cleat ist die Dorfhexe.»
    «Grundgütiger Himmel!», rief ich.
    «Ich weiß, heutzutage klingt das etwas merkwürdig, aber darauf läuft es hinaus. Es gibt immer noch Leute, ganze Sippen sogar, bei denen alle sich einig sind, dass man sie besser nicht verärgern sollte. Den Frauen in Mrs Cleats Familie wurden schon immer Hexenkünste nachgesagt. Und sie hat leider alles getan, um der Legende Nahrung zu geben. Sie ist eine kauzige Frau mit einem bitteren, zynischen Humor. Wenn ein Kind sich in den Finger schneidet oder böse hinfällt oder Mumps bekommt, braucht sie nur zu nicken und zu sagen: ‹Ja, er hat letzte Woche meine Äpfel gestohlen›, oder: ‹Er hat meine Katze am Schwanz gezogen.› Es hat nicht lange gedauert, und manche Mütter fingen an, ihre Kinder wegzuziehen, und andere Frauen brachten Mrs Cleat Honig oder einen selbst gebackenen Kuchen, damit sie ihnen gewogen blieb und ihnen nichts ‹anhexte›. Albern und abergläubisch, aber so sind die Menschen. Kein Wunder also, dass sie jetzt denken, sie wäre an allem schuld.»
    «Aber das ist sie nicht?»
    «Nein. Sie ist nicht der Typ dafür. Es – so einfach ist das nicht.»
    «Haben Sie irgendeinen Verdacht?» Ich betrachtete ihn forschend.
    Er schüttelte den Kopf, aber sein Blick war geistesabwesend.
    «Nein», sagte er. «Ich habe keine Ahnung. Aber die Sache gefällt mir nicht, Burton – sie wird böse enden.»
     
    II
     
    Als ich zum Haus zurückkam, saß Megan auf der Verandatreppe, das Kinn auf die Knie gestützt.
    Wie üblich hielt sie sich nicht lange mit Formalitäten auf.
    «Hallo», sagte sie. «Glauben Sie, ich könnte zum Mittagessen kommen?»
    «Sicher», sagte ich.
    «Wenn es Koteletts gibt oder sonst irgendwas Abgezähltes, sagen Sie’s einfach», rief Megan mir nach, als ich ins Haus ging, um Partridge beizubringen, dass wir beim Essen zu dritt sein würden.
    Partridge, so schien mir, rümpfte die Nase. Jedenfalls gelang es ihr ohne ein einziges Wort, klarzustellen, dass sie nicht viel von dieser Miss Megan hielt.
    Ich kehrte auf die Veranda zurück.
    «Ist es in Ordnung?», erkundigte sich Megan besorgt.
    «Völlig», sagte ich. «Hammeleintopf.»
    «Ah, gut, das ist ja sowieso mehr wie Hundefutter. Ich meine, es besteht fast nur aus Kartoffeln und Geschmack.»
    «Du sagst es.»
    Ich zog mein Zigarettenetui hervor und streckte es Megan hin. Sie errötete.
    «Wie nett von Ihnen.»
    «Möchtest du keine?»
    «Nein, ich glaube nicht, aber es ist sehr nett, dass Sie’s mir anbieten – gerade als wäre ich ein richtiger Mensch.»
    «Bist du denn kein richtiger Mensch?», fragte ich belustigt.
    Megan schüttelte den Kopf; dann wechselte sie das Thema, indem sie ein langes, staubiges Bein ausstreckte, damit ich es begutachten konnte.
    «Ich hab meine Strümpfe gestopft», verkündete sie stolz.
    Ich verstehe nichts vom Stopfen, aber ich hatte so eine Ahnung, dass der seltsame, schief gezogene Wollknubbel, dessen

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