Die Schattenhand
leichte Übung. Als wir beim dritten Sherry anlangten, war Griffiths Schilderung irgendeiner abstrusen Reaktion (oder Läsion?) bereits so gespickt mit Fachtermini, dass außer seinen Medizinerkollegen niemand auch nur ein Wort hätte verstehen können.
Joanna schaute intelligent und höchst interessiert drein.
Für einen Moment befielen mich Gewissensbisse. Es war nicht recht von Joanna. Griffith war zu nett, als dass sie mit seinen Gefühlen spielen durfte. Frauen waren doch Luder.
Dann erhaschte ich einen Blick auf Griffiths Profil, sein langes, entschlossenes Kinn und den harten Mund, und war mir nicht mehr so sicher, dass er leichte Beute für Joanna sein würde. Außerdem brauchte kein Mann sich von einer Frau auf der Nase herumtanzen zu lassen. Tat er es, so war das seine eigene Schuld.
Dann fragte Joanna: «Wollen Sie nicht doch mit uns essen, Dr. Griffith?», und Griffith errötete ein wenig und sagte, das würde er liebend gern, nur rechne seine Schwester mit ihm…
«Wir rufen sie an und erklären es ihr», sagte Joanna rasch und ging in die Diele zum Telefon.
Griffith machte mir keinen ganz glücklichen Eindruck, und mich beschlich der Verdacht, dass er sich vielleicht ein wenig vor seiner Schwester fürchtete.
Joanna kam lächelnd wieder und sagte, es sei alles in bester Ordnung.
Also blieb Owen Griffith zum Mittagessen und schien sich sehr wohl zu fühlen. Wir redeten über Bücher und Theaterstücke und die Weltpolitik, über Musik und Malerei und moderne Architektur.
Lymstock, anonyme Briefe oder Mrs Symmingtons Selbstmord – all das blieb unerwähnt.
Es trat vollständig in den Hintergrund, und ich glaube, Owen Griffith genoss das. Sein dunkles, melancholisches Gesicht hellte sich auf, und er entpuppte sich als anregender Gesprächspartner.
Als er fort war, sagte ich zu Joanna: «Griffith ist zu schade für deine Tricks.»
«Sagst du! » , konterte sie. «Ihr Männer haltet doch immer zusammen!»
«Wozu musst du deine Netze nach ihm auswerfen, Joanna? Gekränkte Eitelkeit?»
«Weiß man’s?», sagte meine Schwester.
IV
Am Nachmittag waren wir in Miss Emily Bartons Logis im Dorf zum Tee geladen.
Wir gingen zu Fuß, denn inzwischen fühlte ich mich kräftig genug, den Hügel wieder hinaufzusteigen.
Offenbar hatten wir jedoch zu viel Zeit veranschlagt und kamen zu früh, denn die Tür wurde von einer großen, grobknochigen, finster blickenden Frau geöffnet, die uns mitteilte, dass Miss Barton noch nicht zurück sei.
«Aber ich weiß, dass sie Sie erwartet, wenn Sie also raufkommen und oben warten möchten?»
Kein Zweifel, vor uns stand die treue Florence.
Sie führte uns die Treppe hinauf, wo sie mit Schwung eine Tür öffnete und uns in ein Wohnzimmer treten ließ, das durchaus behaglich war, wenn auch leicht übermöbliert. Einige der Stücke, vermutete ich, stammten aus Little Moor.
Die Frau war sichtlich stolz auf ihren Raum.
«Hübsch hier drin, nicht?», sagte sie streng. «Wunderhübsch», bekräftigte Joanna herzlich.
«Ich mach’s ihr so gemütlich, wie’s nur geht. Nicht, dass ich ihr so viel bieten kann, wie ich’s gern täte und wie sie’s eigentlich verdient. Sie sollte in ihrem eigenen Haus wohnen, wie sich’s gehört, nicht irgendwo zur Miete.»
Florence, ein rechter Drache vor dem Herrn, sah vorwurfsvoll von Joanna zu mir. Es schien nicht gerade unser Glückstag zu sein. Erst war Joanna von Aimée Griffith und von Partridge heruntergeputzt worden, jetzt wurden wir beide von dem Drachen Florence heruntergeputzt.
«Fünfzehn Jahre war ich Stubenmädchen bei ihr», schob Florence nach.
Aufgestachelt durch so viel Ungerechtigkeit, sagte Joanna: «Aber Miss Barton wollte das Haus doch vermieten. Sie hat extra das Maklerbüro beauftragt.»
«Was hätt sie denn machen sollen», sagte Florence. «Und das, wo sie eh schon so sparsam und bescheiden lebt. Aber nein, der Staat lässt ihr trotzdem keine Ruhe! Treibt sein Pfund Fleisch ein, ganz egal, wie.»
Ich schüttelte betrübt den Kopf.
«War haufenweise Geld da, wie die alte Dame noch gelebt hat», sagte Florence. «Und dann sind sie alle der Reihe nach weggestorben, die armen, lieben Mädchen. Miss Emily hat sie gepflegt, eine nach der anderen. Völlig aufgerieben hat sie sich, und immer so geduldig und ohne zu murren. Eine schlimme Zeit, und jetzt muss sie sich auch noch wegen dem Geld sorgen! Die Aktien werfen nicht mehr so viel ab wie früher, sagt sie, und warum, frag ich mich? Eine rechte
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