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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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langsam.
    «Ich habe keine Ahnung, was dieses Satansweib denkt oder fühlt! Und es interessiert mich auch nicht. Mir tun nur die Opfer Leid.»
    Rückblickend erscheint es mir merkwürdig, dass wir bei all den Spekulationen über die Gemütsverfassung unserer Giftschleuder die nahe liegendste Antwort außer Acht ließen. Griffith hatte sie als möglicherweise frohlockend beschrieben. Ich hatte sie mir schuldbeladen vorgestellt – erschüttert über die Folgen ihrer Machenschaften. Mrs Dane Calthrop sah eine Leidende in ihr.
    Nur die offenkundige, die unausweichliche Reaktion zogen wir nicht in Betracht – oder vielleicht sollte ich sagen, zog ich nicht in Betracht. Diese Reaktion war Furcht.
    Denn mit dem Tod von Mrs Symmington hatten die Briefe ein neues Gewicht bekommen. Wie die genaue Rechtslage war, weiß ich nicht – Symmington hätte es sicher gewusst –, aber nun, da die Briefe ein Menschenleben gefordert hatten, stand ungleich mehr auf dem Spiel. Sollte die Identität der Schuldigen ans Licht kommen, so war nicht mehr daran zu denken, das Ganze als einen Scherz durchgehen zu lassen. Die Polizei war eingeschaltet, ein Experte von Scotland Yard hinzugezogen worden. Für die namenlose Verfasserin war es lebenswichtig geworden, dass sie namenlos blieb.
    Und angenommen, Furcht war die ausschlaggebende Reaktion, dann hatte das Konsequenzen. Auch ihnen gegenüber war ich blind. Dabei hätten sie eigentlich auf der Hand liegen müssen.
     
    II
     
    Am nächsten Morgen kamen Joanna und ich recht spät zum Frühstück herunter. Spät für Lymstocker Verhältnisse, heißt das. Es war halb zehn, eine Zeit, zu der Joanna in London mit Mühe und Not ein Auge geöffnet hätte, während meine wahrscheinlich noch fest geschlossen gewesen wären. Doch als Partridge gefragt hatte: «Frühstück um neun oder um halb neun?», hatten wir beide nicht den Mut aufgebracht, eine Stunde später vorzuschlagen.
    Zu meinem Ärger stand an der Haustür Aimée Griffith und redete mit Megan.
    Bei unserem Anblick gab sie Laut, kernig wie immer.
    «Na, Sie haben wohl gar nicht aus den Federn gefunden! Ich bin schon seit einer Ewigkeit auf.»
    Nun, das konnte sie halten, wie sie wollte. Ein Arzt braucht zweifelsohne ein frühes Morgenmahl, da muss ihm die pflichtbewusste Schwester natürlich den Tee oder Kaffee einschenken. Aber das gab ihr noch längst nicht das Recht, bei ihren schlafbedürftigeren Nachbarn hereinzuplatzen. Halb zehn ist keine Zeit für einen Morgenbesuch.
    Megan schlüpfte wieder ins Haus, zurück ins Esszimmer, wo sie vermutlich bei ihrem Frühstück unterbrochen worden war.
    «Ich komm nicht rein», sagte Aimée Griffith – nicht, dass ich je verstanden hätte, warum es ein größeres Verdienst sein soll, die Leute an der Haustür festzunageln, als im Haus mit ihnen zu reden. «Ich wollte Miss Burton nur fragen, ob sie vielleicht ein bisschen Gemüse für unseren Rot-Kreuz-Stand an der Hauptstraße übrig hat. Falls ja, schicke ich Owen mit dem Auto rüber, dass er es abholt.»
    «Sie sind ja ganz schön früh zugange», sagte ich.
    «Die frühe Henne findet die dicksten Würmer», sagte Aimée. «Um diese Tageszeit sind die Leute noch nicht aus dem Haus. Der Nächste auf meiner Liste ist Mr Pye. Heute Nachmittag muss ich dann nach Brenton rüber. Pfadfinder.»
    «Ihre Energie macht mich ganz schlapp», sagte ich, und in diesem Augenblick klingelte das Telefon, sodass ich es Joanna überlassen konnte, unsicher etwas von Rhabarber und grünen Bohnen zu nuscheln und ihre Ignoranz in Sachen Gemüseanbau zu offenbaren.
    «Ja?», sagte ich in den Hörer.
    Vom anderen Ende der Leitung kam verwirrtes Schnaufen, und eine zweifelnde Frauenstimme sagte: «Oh!»
    «Ja?», wiederholte ich ermutigend.
    «Oh», machte die Stimme noch einmal und fragte dann polypengequetscht: «Ist das – ich meine – ist da Little Moor?»
    «Ja, hier ist Little Moor.»
    «Oh!» Damit schien jeder Satz zu beginnen. Dann erkundigte sich die Stimme vorsichtig: «Ob ich wohl ganz kurz mit Miss Partridge sprechen könnte?»
    «Aber sicher», sagte ich. «Wer ist denn am Apparat?»
    «Oh. Sagen Sie, Minnie möchte sie sprechen, ja? Minnie Maus.»
    «Minnie-Maus?»
    «Ja.»
    Ich widerstand der Versuchung, mich als Donald Duck zu erkennen zu geben, legte den Hörer hin und rief die Treppe hinauf, wo ich Partridge rumoren hörte:
    «Partridge. Partridge.»
    Partridge erschien auf der obersten Stufe, einen riesigen Mopp in der Hand. Aus ihrer Miene sprach

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