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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ihnen das hässliche Giebelgebäude des Frauenvereins. Düster ragte es ins trübe Licht der Sterne auf, und irgendetwas veranlasste mich, genauer hinzuschauen. Mag sein, dass ich aus dem Augenwinkel eine Gestalt erspäht hatte, die verstohlen durchs Tor huschte – wenn, dann muss der Anblick so flüchtig gewesen sein, dass mein Bewusstsein ihn nicht registrierte –, jedenfalls zog das Gebäude mich mit einem Mal unwiderstehlich an.
    Das Tor war nur angelehnt, und ich drückte es auf und ging hinein. Ein kurzer Pfad und vier Stufen führten zur Tür.
    Einen Moment zögerte ich. Was wollte ich hier eigentlich? Ich wusste es nicht, und dann, ganz plötzlich, hörte ich gar nicht weit weg etwas rascheln. Es klang wie ein Frauenkleid. Ich machte eine scharfe Drehung und ging um das Haus herum, in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.
    Sehen konnte ich niemanden. Ich ging weiter, bog wieder um eine Ecke. Nun stand ich hinter dem Haus, und auf einmal bemerkte ich keinen Meter von mir entfernt ein offenes Fenster.
    Ich trat näher und lauschte. Zu hören war nichts, aber irgendetwas gab mir das sichere Gefühl, dass dort drinnen jemand war.
    Mein Rücken taugte noch nicht so recht für Turnübungen, aber ich schaffte es, mich hochzustemmen und mich über das Fensterbrett hineinzuwälzen. Leider machte ich dabei einen ziemlichen Krach.
    Ein paar Sekunden blieb ich am Fenster stehen und horchte. Dann machte ich einen Schritt vorwärts, beide Hände ausgestreckt. Und hörte ein winziges Geräusch zu meiner Rechten.
    Ich hatte eine Taschenlampe bei mir, die knipste ich an.
    «Ausmachen», sagte eine leise, scharfe Stimme.
    Ich gehorchte unverzüglich, denn in diesem kurzen Augenblick hatte ich Superintendent Nash erkannt.
    Er packte mich am Arm und zerrte mich durch eine Tür in einen Korridor. Hier, wo es kein Fenster gab, das unsere Gegenwart nach außen hin verraten hätte, schaltete er das Licht an und betrachtete mich eher kummervoll denn zornig.
    « Mussten Sie ausgerechnet jetzt hereinplatzen, Mr Burton?»
    «Tut mir Leid», entschuldigte ich mich. «Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, hier ist etwas im Gange.»
    «Das war es wahrscheinlich auch. Haben Sie jemanden gesehen?»
    Ich zögerte. «Ich weiß nicht recht», sagte ich langsam. «Mir war, als hätte ich jemanden durch das Gartentor schleichen sehen, aber gesehen im eigentlichen Sinn habe ich niemanden. Dann hat es hinter der Hausecke geraschelt.»
    Nash nickte.
    «Genau, irgendjemand ist vor Ihnen ums Haus gekommen. Vor dem Fenster blieb er kurz stehen und ging dann rasch weiter – wahrscheinlich, weil er Sie gehört hatte.»
    Ich entschuldigte mich noch einmal. «Auf was warten Sie denn genau?», fragte ich dann.
    Nash sagte: «Ich setze auf die Tatsache, dass eine Frau, die anonyme Briefe schreibt, nicht damit aufhören kann. Sie weiß vielleicht, dass es gefährlich ist, aber sie kann nicht anders. Es ist eine Sucht, wie bei Alkohol oder Tabletten.»
    Ich nickte.
    «Sehen Sie, Mr Burton, meine Theorie ist, dass unserer Freundin daran gelegen ist, die Briefe einander möglichst ähnlich zu halten. Sie hat die Seiten aus dem Buch, das heißt, sie kann ihre Buchstaben und Wörter auch weiterhin in der gewohnten Art ausschneiden. Aber die Umschläge stellen ein Problem dar. Sie wird die Adressen mit derselben Schreibmaschine schreiben wollen. Sie kann es nicht riskieren, eine andere Maschine zu benutzen oder mit der Hand zu schreiben.»
    «Sie meinen wirklich, dass sie ihr Spiel weitertreibt?», fragte ich ungläubig.
    «Allerdings. Und ich gehe jede Wette ein, dass sie es mit der größten Zuversicht tut. Sie sind immer unglaublich eitel, diese Leute. Also habe ich mir ausgerechnet, wer immer sie ist, wenn sie an die Schreibmaschine will, kann sie das eigentlich nur nach Einbruch der Dunkelheit.»
    «Miss Ginch», sagte ich.
    «Vielleicht.»
    «Sie wissen es noch nicht?»
    « Wissen, nein.»
    «Aber Sie haben einen Verdacht?»
    «Ja. Allerdings ist unsere Freundin äußerst gerissen, Mr Burton. Unsere Freundin ist mit allen Wassern gewaschen.»
    Ich begann zu ahnen, wie engmaschig das Netz sein musste, das Nash ausgeworfen hatte. Zweifellos wurde jeder Brief von einer der Verdächtigen, ob der Post anvertraut oder eigenhändig überbracht, auf der Stelle inspiziert. Früher oder später würde die Täterin unvorsichtig werden und einen Fehler machen.
    Zum dritten Mal entschuldigte ich mich für meine übereifrige und unerwünschte

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