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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Anwesenheit.
    «Was soll’s», sagte Nash abgeklärt. «Passiert ist passiert. Vielleicht klappt’s ja nächstes Mal.»
    Ich trat hinaus in die Nacht. Eine schemenhafte Gestalt stand neben meinem Wagen, und zu meinem Erstaunen erkannte ich Megan.
    «Hallo», sagte sie. «Ich dachte mir doch gleich, dass das Ihr Auto ist. Was machen Sie hier?»
    «Die Frage sollte wohl eher lauten, was machst du hier?», sagte ich.
    «Spazieren gehen. Ich gehe gern im Dunkeln spazieren. Niemand hält einen an und redet dummes Zeug, und ich mag die Sterne, und ganz gewöhnliche Dinge sehen plötzlich geheimnisvoll aus.»
    «Das mag schon sein», sagte ich, «aber nur Katzen und Hexen sind bei Nacht unterwegs. Daheim werden sie sich bestimmt fragen, wo du steckst.»
    «Werden sie nicht. Sie fragen nie, wo ich bin oder was ich mache.»
    «Wie geht’s dir denn so?», erkundigte ich mich.
    «Ganz gut.»
    «Und Miss Holland kümmert sich um dich?»
    «Elsie ist schon in Ordnung. Für ihre Dummheit kann sie ja nichts.»
    «Hart – aber wahrscheinlich gerecht», sagte ich. «Steig ein, dann fahr ich dich nach Hause.»
    Es stimmte nicht ganz, dass Megan nie vermisst wurde.
    Symmington stand auf der Stufe vor der Haustür, als wir ankamen.
    Er spähte uns entgegen. «Hallo, ist Megan bei Ihnen?»
    «Ja», sagte ich. «Ich habe sie heimgebracht.»
    Symmington sagte in scharfem Ton: «Du kannst doch nicht einfach verschwinden, ohne uns Bescheid zu sagen, Megan. Miss Holland war sehr in Sorge um dich.»
    Megan nuschelte etwas und schob sich an ihm vorbei ins Haus. Symmington seufzte.
    «Ein erwachsenes Mädchen, so ganz ohne Mutter, das ist eine große Verantwortung. Für die Schule ist sie ja wohl leider zu alt.»
    Er warf mir einen misstrauischen Blick zu.
    «Sie haben eine Ausfahrt mit ihr gemacht?»
    Ich hielt es für das Klügste, ihn in dem Glauben zu lassen.

Elftes Kapitel
    I
     
    A m nächsten Tag packte mich der Wahnsinn. Jedenfalls kann ich mir mein Verhalten im Rückblick nicht anders erklären.
    Ich hatte meinen allmonatlichen Termin bei Marcus Kent… Ich fuhr mit dem Zug hin. Sehr zu meiner Verwunderung zog Joanna es vor, zu Hause zu bleiben. Normalerweise wollte sie unbedingt mit, und meistens blieben wir gleich ein paar Tage.
    Diesmal plante ich zwar, mit dem Abendzug zurückzukommen, aber Joannas Desinteresse überraschte mich trotzdem. Sie sagte nur kryptisch, sie habe alle Hände voll zu tun, und wozu Stunden in einem ekligen, miefigen Zug sitzen, wenn das Wetter hier auf dem Land so schön sei.
    Das ließ sich zwar nicht bestreiten, klang aber ganz und gar nicht nach Joanna.
    Das Auto brauche sie nicht, sagte sie, ich solle ruhig damit zum Bahnhof fahren und es dort stehen lassen, bis ich wiederkäme.
    Die Bahnstation von Lymstock liegt eine gute halbe Meile vom Ort selbst entfernt, warum, das wissen die Eisenbahngesellschaften allein. Auf halber Strecke überholte ich Megan, die lustlos am Straßenrand dahinschlurfte. Ich hielt an.
    «Na, wohin des Wegs?»
    «Einfach spazieren.»
    «Spazieren gehen nennst du das? Du kommst dahergekrochen wie eine depressive Krabbe.»
    «Ich geh eben so vor mich hin.»
    «Dann steigst du besser ein und bringst mich zum Zug.»
    Ich öffnete die Tür, und Megan setzte sich neben mich.
    «Wo fahren Sie hin?», wollte sie wissen.
    «London. Ich muss zum Arzt.»
    «Aber Ihr Rücken ist doch nicht schlimmer geworden?»
    «Nein, er ist wieder so gut wie neu. Mein Arzt wird hoffentlich hoch zufrieden sein.»
    Megan nickte.
    Wir kamen am Bahnhof an. Ich parkte den Wagen, ging zum Schalter und kaufte meine Fahrkarte. Es warteten nur sehr wenige Leute auf dem Bahnsteig; niemand, den ich kannte.
    «Hätten Sie vielleicht einen Penny übrig?», fragte Megan. «Dann könnte ich mir eine Tafel Schokolade aus dem Automaten holen.»
    «Aber klar, mein Herzblatt», sagte ich und gab ihr die Münze. «Bist du sicher, dass du nicht auch noch Weingummis oder Lutschbonbons brauchst?»
    «Nein, lieber Schokolade», sagte Megan arglos.
    Sie zog ab zum Süßigkeitenautomaten, und ich sah ihr mit wachsender Gereiztheit nach.
    Sie trug ausgelatschte Schuhe, eine scheußliche, grobe Strumpfhose und dazu einen ganz besonders unförmigen Rock und Pullover. Ich weiß nicht, warum all das mich plötzlich so aufbrachte, aber so war es.
    «Musst du so grässliche Strumpfhosen anziehen?», fuhr ich sie an, als sie zurückkam.
    Megan blickte erstaunt an sich hinab.
    «Was ist denn falsch daran?»
    «Alles ist falsch daran.

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