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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sich zusammenreißt und einem menschlichen Wesen zu ähneln beginnt. Keine Sorge, überlassen Sie das nur mir.»
    «Sehr gut», sagte ich. «Ich komme gegen sechs wieder und hole sie ab.»
     
    II
     
    Marcus Kent war zufrieden mit mir. Er sagte, ich hätte seine kühnsten Erwartungen übertroffen.
    «Sie müssen eine wahre Elefantennatur haben», meinte er, «dass Sie so schnell wieder auf dem Damm sind. Tja, da sieht man doch wieder, dass Landluft, frühes Schlafengehen und ein beschauliches Leben Wunder wirken können – vorausgesetzt, Sie überleben es.»
    «Nummer eins und zwei von mir aus», sagte ich. «Aber glauben Sie nicht, dass mein Leben auf dem Lande beschaulich wäre. Wir hatten es sehr aufregend in der letzten Zeit.»
    «Inwiefern?»
    «Mord», sagte ich.
    Marcus Kent stieß einen Pfiff aus.
    «Eine ländliche Liebestragödie? Schäfer erschlägt Schäferin?»
    «Nichts da. Kalter, zum Äußersten entschlossener Wahnsinn.»
    «Ich habe gar nichts davon gelesen. Wann haben sie ihn denn eingelocht?»
    «Noch gar nicht, und es ist eine Sie.»
    «Puh! Ich weiß nicht, ob dieses Lymstock das richtige Pflaster für Sie ist, alter Junge.»
    Ich sagte fest: «Oh doch. So leicht kriegen Sie mich da nicht weg.»
    Marcus Kent hat eine schmutzige Phantasie. «Also daher weht der Wind!», sagte er prompt. «Ist sie blond?»
    «Ach woher denn», sagte ich und musste schuldbewusst an Elsie Holland denken. «Nein, mich interessieren einfach die psychologischen Hintergründe solcher Verbrechen.»
    «Na gut, bis jetzt hat es Ihnen ja offensichtlich nicht geschadet. Aber passen Sie auf, dass Ihre wahnsinnige Mörderin nicht plötzlich Sie auslöscht.»
    «Keine Angst», sagte ich.
    «Wie wär’s, wollen wir heute Abend zusammen essen? Dann können Sie mir Ihre Schauergeschichten in aller Ruhe erzählen.»
    «Bedaure, ich bin schon vergeben.»
    «Ein Rendezvous, hm? Ja, wenn Sie schon wieder die Damen hofieren…»
    «So könnte man es wohl nennen», sagte ich, recht belustigt über die Vorstellung von Megan als Dame.
    Um sechs, zur offiziellen Ladenschlusszeit, war ich wieder bei Mirotin. Mary Grey kam mir schon auf der Treppe zum Ausstellungsraum entgegen. Sie hielt einen Finger an die Lippen.
    «Halten Sie sich gut fest! Ich will mich ja nicht selbst loben, aber ich muss schon sagen, ich habe ziemlich gute Arbeit geleistet.»
    Ich betrat den Salon. Megan stand da und betrachtete sich in einem hohen Spiegel. Ich schwöre es, ich erkannte sie kaum wieder. Einen Moment lang verschlug es mir den Atem. Groß und gertenschlank, die schmalen Fesseln und Füße zur Geltung gebracht von durchsichtigen Seidenstrümpfen und gut geschnittenen Schuhen. Ja, schöne Füße und Hände, feine Knochen – aus jeder Linie ihres Körpers sprach Klasse und Vornehmheit. Ihr Haar war gestutzt und betonte die Kopfform, und es schimmerte wie eine glänzende Kastanie. Sie waren so vernünftig gewesen, ihr Gesicht in Frieden zu lassen. Megan war nicht geschminkt, oder wenn doch, dann so dezent, dass es nicht auffiel. Ihr Mund brauchte keinen Lippenstift.
    Aber vor allem war da etwas an der Art, wie sie den Kopf hielt, das ich niemals vorher an ihr bemerkt hatte: ein ganz neuer, unschuldiger Stolz. Sie sah mir entgegen, ernst, mit einem kleinen schüchternen Lächeln.
    «Ich bin doch… ganz passabel geworden, oder?», sagte sie.
    «Passabel?», wiederholte ich. «Passabel ist gar kein Ausdruck! Komm, wir gehen essen, und ich will tot umfallen, wenn sich nicht jeder zweite Mann nach dir umdreht. Vor dir können sich die anderen Mädchen alle verstecken.»
    Megan war nicht schön, aber sie war apart, sie fiel auf. Sie hatte Ausstrahlung. Sie betrat vor mir das Restaurant, und als der Oberkellner auf uns zugeeilt kam, spürte ich das Prickeln unsinnigen Stolzes, das jeder Mann spürt, wenn er sich mit einer außergewöhnlichen Frau zeigen kann.
    Wir begannen mit Cocktails und ließen uns Zeit damit. Dann aßen wir. Und dann tanzten wir. Megan wollte unbedingt tanzen, und ich mochte sie nicht enttäuschen, aber aus irgendeinem Grund hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie gut tanzen würde. Doch das tat sie. Sie war leicht wie eine. Feder in meinen Armen, und ihr Körper und ihre Füße folgten dem Rhythmus wie von selbst.
    «Donnerwetter!», sagte ich. «Du kannst ja tanzen!»
    Sie wirkte etwas überrascht. «Natürlich kann ich tanzen. Wir hatten in der Schule jede Woche Tanzstunde.»
    «Tanzstunde allein heißt noch gar nichts», sagte

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