Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
immer schon einen Rettungsanker gesucht? Gewiss, aber Learco war
mehr für sie. Learco war ein Gejährte. Learco war jemand, mit dem sie alles
teilen konnte. Nun war es Zeit, zu geben und nicht bloß zu nehmen. Sie machte einen Besuch an Idos Grab. Kein imposantes Mausoleum, kein Denkmal. Ein schlichter Grabstein, vor dem ein mysteriöser Besucher immer wieder frische Blumen niederlegte.
Sie hatte ihn nie richtig kennengelernt, aber sie konnte jenes kurze Gespräch draußen vor dem Palast in Laodamea nicht vergessen. Er war der Erste gewesen, der ihr sein Vertrauen geschenkt hatte. Deswegen hatte sein Tod auch in ihrem Herzen eine eigenartige Leere hinterlassen, die Trauer um etwas, was sich nicht hatte entwickeln können.
Sie betrachtete den Grabstein und dachte an die Frage, die Ido ihr damals gestellt hatte, nach ihrer Rückkehr aus den Unerforschten Landen, als sie ihn aufsuchte, um ihm zu sagen, dass sie Dohor töten wolle. >Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?<
Sie schloss die Augen und erforschte ihr Herz bis auf den Grund, dachte angestrengt nach über ihr Leben, über die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft. Und fand die Antwort.
Dann legte sie die Blume nieder, eine einfache Feldmargerite, die sie am Wegesrand gepflückt hatte. »Danke«, sagte sie lächelnd und machte sich auf, ihre Entscheidung in die Tat umzusetzen. Als sich das königliche Paar auf dem Balkon zeigte, brach die Menge im Garten in stürmischen Beifall aus. Dubhe musste daran denken, dass genau dort vor einiger Zeit noch Dohor seinen Triumph gefeiert hatte. Mit Neors Hinrichtung hatte er mit einem Schlag alle Feinde im Innern aus dem Weg räumen wollen. Stattdessen war dieser Tag für ihn der Anfang vom Ende gewesen. Dubhe drückte die Hand ihres Gemahls und lächelte strahlend. Learco erwiderte ihren Händedruck und trat dann einen Schritt vor, während Dubhe zurückblieb und die Menge beobachtete. Ihr Volk. Das Leben dieser Leute hing nun auch von ihr ab. Sie spürte einen Anflug von Angst. Bis zu diesem Moment hatte sie nur auf sich selbst aufpassen müssen. Würde es ihr gelingen, all diesen Leuten gerecht zu werden? Noch fester ergriff sie jetzt wieder die Hand ihres Gatten und trat voller Stolz neben ihn. Sie hatte Learco erwählt und sich damit auch dafür entschieden, diesem Volk Königin zu sein. Sie brauchte keine Angst mehr zu haben, musste sich nicht mehr zurückziehen. Ihre Miene wurde sicherer. Learco lächelte sie an, bevor er zu sprechen anhob.
»Ich freue mich, dass ihr alle gekommen seid, um mit mir dieses glückliche Ereignis zu feiern«, begann er. »In den zurückliegenden Monaten hatten wir harte Prüfungen zu bestehen, doch nun können wir endlich sagen, dass der Sieg unser ist. Die Gilde ist zerschlagen und der Friede mit dem Land des Feuers hergestellt. Damit beginnt ein neues Zeitalter, ein neues Reich entsteht. Und wir haben auch eine neue Königin«, setzte er mit einem Lächeln hinzu, während sich alle Augen, wie Dubhe verlegen bemerkte, auf sie richteten.
Dann wurde Learco wieder ernst.
»Viele haben geglaubt, ich würde die gleichen Ziele wie mein Vater verfolgen und danach streben, die Aufgetauchte Welt in einem einzigen großen Reich zu vereinigen. Das ist keine neue Idee. Schon in früheren Zeiten waren manche wie auch heute noch der Ansicht, der Friede in unserer Welt sei nur dann herzustellen, wenn die Wünsche und Bedürfnisse der unzähligen einzelnen Seelen, die sie bewohnen, keine Berücksichtigung fänden. Die Unterschiede führten zu Uneinigkeit und Streit, das Bestehen vieler einzelner Reiche mit eigenen Regierungen zum Chaos. Besser sei da ein einziger mächtiger König, der zwar mit harter Hand und auch Gewalt regiert, dafür aber den Missklang eines vielstimmigen Chores in eine einzige Stimme verwandelt. In die Stimme des Alleinherrschers.«
Die Menge schwieg betreten.
»Ich bin nicht der Ansicht, dass dies eine gute Lösung ist. Wir sind Menschen, Nymphen, Gnomen . . . Wir leben im Halbschatten des Landes der Nacht oder werden mit dem salzigen Geruch des Landes des Meeres in der Nase geboren. Ich respektiere den Unabhängigkeitsdrang der Bewohner des Landes der Felsen und schätze den ungezähmten Charakter der Menschen in den Turmstädten. Und aus eben diesem Grund will ich sie nicht beschneiden, unsere wertvollste Gabe, die Verschiedenartigkeit, zugunsten einer unfruchtbaren, künstlichen Einheit. Es gab einen großen König, der uns diesen Weg gewiesen hat, und ich
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