Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
Lonerin verspürte einen Kloß im Hals. Die Treppen, die von Stockwerk zu Stockwerk führten, waren so uneben, dass Sennar Mühe hatte, mit seinem Stock einen Rhythmus zu finden. »Reich mir deinen Arm, dieses verfluchte Bein macht alles nur noch schwieriger«, sagte Sennar missmutig, und Lonerin kam seinem Wunsch sofort nach. Im ersten Augenblick kam ihm der Griff der Hand an seinem Arm eisern vor, tatsächlich aber klammerte sich Sennar eher fast verzweifelt an ihn, und Lonerin spürte es bald an dem leichten Zittern der knöchernen Finger.
»Tarik wohnte gleich über dem Tor, also dort entlang«, erklärte der Magier und bog in einen Seitengang ein. »Auch die Fammin kannten diese Abkürzung, deshalb konnten sie an jenem schicksalhaften Tag so rasch dort sein. Und wenn ich zu Nihal wollte, habe ich selbst diesen Weg benutzt.«
Plötzlich beschleunigte er seine Schritte und ließ Lonerins Arm los. Sogar sein Stock berührte den Boden nicht mehr, während er nur mit der Hand an den Hauswänden Halt suchte. Lonerin beeilte sich, ihm zu folgen.
»Livon, Nihals Adoptivvater, hatte aus praktischen Erwägungen dieses Haus über dem Stadttor bezogen. Mit der Waffenschmiede im Haus war es für ihn als Handwerker und Händler ideal, beim Stadttor zu wohnen. Letztlich aber wurde ihm diese Entscheidung zum Verhängnis.«
Aufgeregt marschierte Sennar voran, überwand problemlos alle Steine, die im Weg lagen, alle Risse und Löcher, die sich im Boden auftaten. Die ganze Kraft und Flinkheit seiner
Jugend schien er wiedergefunden zu haben, und sogar sein lahmes Bein schien ihm keine Last mehr zu sein. Lonerin sah nur seinen Rücken, der in regelmäßigen Abständen erhellt wurde vom Licht, das aus Fensteröffnungen und Breschen in der Außenmauer einfiel. Währenddessen erzählte er, immer lauter und schneller, in einem fort.
»Hier hat Nihal mit ihren Freunden gespielt, zwischen den Tonkrügen der Händler und den mit Obst beladenen Marktständen.« Er drehte sich zu Lonerin um und schaute ihn mit glänzenden Augen an. »Hier lebten die Leute dicht an dicht, ganz anders als heute!«
Es schien, als tauche er unvermittelt in seine Vergangenheit ein: Er sah das Salazar seiner Jugend, das Salazar Nihals, das Salazar des Goldenen Zeitalters, jener Epoche also, als Aster das Land des Windes noch nicht erobert hatte. »Nicht so schnell, ich bitte Euch«, versuchte Lonerin ihn zu bremsen, doch Sennar war so eingenommen von seinen Gedanken, dass er ihn nicht hörte. Eine weitere Hausecke, und schon hatte Lonerin ihn aus den Augen verloren. Verdammt!
Er beschleunigte seine Schritte, folgte nur noch Sennars Stimme. Dann Stille. Abrupt und undurchdringlich. »Wo seid Ihr?«
Er bog in den nächsten Seitengang ein und sah ihn wieder. Da stand er. Eingerahmt vom Rechteck einer Tür, hinter der sich ein trostlos wirkendes Halbdunkel ausbreitete. Sich der Situation bewusst, verlangsamte Lonerin seine Schritte. Ido hatte dem Rat der Wasser das Haus von Nihal, oder genauer von Tarik, zwar in allen Einzelheiten beschrieben, dabei jedoch nicht die schauderhafte Atmosphäre dieses Ortes wiedergeben können, der erstarrt war in dem Moment, da alles passierte. Von der Tür aus blickte Lonerin in einen größeren Raum, in dem ein unglaubliches Durcheinander herrschte: zerborstenes Mobiliar, der Boden mit Glasscherben übersät und alles voller Blut. Große Flecken breiteten sich auf dem Holzfußboden aus, während verwischte Spuren bis zur Tür führten. Lonerin wusste nicht, was er sagen sollte, welche Worte jetzt nicht unpassend gewesen wären, doch Sennar kam ihm zuvor. Nur kurz ließ er den Kopf hängen, schüttelte ihn dann, hob den Blick und schaute Lonerin entschlossen an.
»Trennen wir uns. Du schaust in der Küche nach, und ich gehe ins Schlafzimmer hinauf. Weißt du, wie der Talisman aussieht?«
Lonerin brachte kein Wort heraus. Erschüttert schaute er Sennar an, und das so lange, dass der Magier ärgerlich wurde.
»Was starrst du mich denn so an? Antworte lieber. Wir haben wenig Zeit. Also, was ist? Weißt du es?«
»Ja. Ich habe viel über ihn gelesen«, antwortete Lonerin leise.
»Dann such jetzt.«
Entschlossen trat Sennar ein, schob mit den Füßen die Scherben am Boden zur Seite und wandte sich dem Schlafzimmer zu.
Eher unsicher folgte ihm Lonerin kurz darauf. Es war ein seltsames Gefühl, dort einzutreten. Der Gestank der Gilde lag noch in den Räumen. Wo sie auch auftrat, überall hinterließ die Mördersekte eine
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