Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
Atmosphäre von Tod und Verzweiflung. Um den großen Blutfleck machte er einen Bogen, merkte aber bald schon, dass es unmöglich war, sich in diesem Haus zu bewegen, ohne auf das geronnene Blut von Tariks Familie zu treten.
Allein diese Farbe weckte wieder die unauslöschliche Erinnerung an die Leiche seiner Mutter, die unter einem ganzen Berg weiterer, von der Gilde niedergemetzelter Toter gelegen hatte. Und wie immer, wenn er daran dachte, überkam ihn unbändiger Zorn. So schnell er auch davonlief, dem Hass entkam er nicht,- dieser war ein Feind, den er nicht vernichten konnte.
Er schloss die Augen und versuchte, sich von den Gedanken loszureißen. Aus einem anderen Raum drangen die Ge rausche aufgezogener Türen, verschobener Truhen, beiseite geräumter Gegenstände zu ihm. Erneut schaute er sich um, bemühte sich, alles auszublenden, was nichts mit dem Talisman, den er suchte, zu tun hatte: Es handelte sich um ein goldenes Medaillon mit einem großen Auge in der Mitte und acht Vertiefungen mit acht verschiedenfarbigen Edelsteinen. Anstelle der Iris hatte er einen in Regenbogenfarben schillernden Stein gehalten, den Nihal zerstört hatte, als sie, damals in den Unerforschten Landen, beschloss, ihr Leben zu opfern, um das ihres Mannes und ihres Sohnes zu retten.
Lonerin suchte zwischen zerborstenem Holz und Glasscherben, stöberte unter den wenigen noch heilen Möbeln herum und untersuchte sogar den Kamin für den Fall, dass es dort geheime Nischen gab. Wie ein Dieb kam er sich vor, als er dort mit den Händen herumtastete.
Ob Dubhe steh wohl auch so gefühlt hat, wenn sie fremde Häuser ausräumte?, fragte er sich, und ohne dass er es wollte, hatte er plötzlich mit brutaler Klarheit das Bild des Mädchens vor Augen. Es schmerzte wie eine Wunde, die nicht heilen wollte. Oder war es nur noch verletzter Stolz, die Demütigung, so barsch abgewiesen worden zu sein. In seinen Gedanken ging alles durcheinander: Liebe und Zuneigung, Freundschaft und Hass. Sogar die Gesichter der beiden Frauen, die sein Leben prägten, überschnitten sich: Dubhe und Theana,-und mittendrin die verschwommenen Konturen des Gesichtes seiner Mutter.
Wo mögen sie jetzt sein?
Lonerin suchte alle Wände ab, betastete jede Vertiefung, klopfte auf jeden einzelnen Ziegelstein. Doch alles war fest. Er hob die Holzbretter des Fußbodens an und schaute darunter nach: nichts.
Irgendwann wurde das Gepolter im Nebenzimmer immer lauter, bis er plötzlich einen Schrei hörte und hinüberlief. Als er auf der Schwelle stand, erstarrte er. Am Boden hockte Sennar in einem Berg von Kleidern. Er schien die ganze Truhe ausgeräumt und aus Wut umgeworfen zu haben. Nun lag er auf den Knien, seine Hände krallten sich in ein blutbeflecktes Leintuch, und seine Züge waren wutverzerrt.
»Er ist nicht da, verdammt, er ist nicht da!«, rief er, verzweifelt zu Lonerin aufschauend, während ihm die Tränen über die Wangen liefen. Als er aufzustehen versuchte, gab sein lahmes Bein nach und zwang ihn erneut auf die Knie. »Verflucht!«, schrie er.
Doch unversehens ging seine brüllende Stimme in ein herzzerreißendes Wimmern über, und er vergrub den Kopf in dem Leintuch.
Langsam, fast auf Zehenspitzen, trat Lonerin näher. Er beugte sich nieder und legte Sennar sanft eine Hand auf die Schulter. Der drehte sich ruckartig um und umarmte ihn. Wie betäubt erlebte der junge Magier diese unerwartete, bewegende Geste.
»Hier hat er gelebt, verstehst du? Und hier, auf diesem Bett, ist er gestorben, und ich war nicht bei ihm! Ido war da an jenem verhängnisvollen Tag, doch sein Vater nicht. Ich hatte noch nicht einmal Gelegenheit, ihm zu sagen, wie es mich zerriss, als er damals im Streit von mir fortging ... Ich habe ihm nie sagen können, wie sehr er mir gefehlt hat, konnte ihn nicht um Vergebung bitten, konnte ihn nicht anflehen, mir zu verzeihen, dass ich unsere Nihal sterben ließ, ohne irgendetwas dagegen zu unternehmen.«
Lonerin spürte, wie ihm die Augen brannten, während er plötzlich seine Mutter vor sich sah, die in heller Verzweiflung zum Tempel Thenaars unterwegs war, um dort ihr Leben zu opfern, um seines zu retten. Er verstand, welch ungeheurer Schmerz sie gequält, welch unendliches Leid sie dazu getrieben haben musste, diesen Schritt zu tun. Sagen konnte er nichts, es gab keine Worte für solch ein Drama, keinen Trost für so etwas Ungeheures wie den Tod des eigenen Kindes. Die Arme um die Schultern des greisen Magiers gelegt, hockte er reglos
Weitere Kostenlose Bücher