Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
bin, wie Ihr vielleicht dachtet«, sagte Lonerin eines Abends zu ihm.
»Ja, leider hat mir der Zufall einen Schüler zugespielt, der doch etwas langsam ist«, antwortete Sennar mit der eindeutigen Absicht, ihn zu verletzen. Doch Lonerin nahm es ihm nicht übel. Seine Bewunderung für diesen Mann war grenzenlos. Sennar war schon immer sein leuchtendes Vorbild gewesen, sein Held. Von ihm ließ er sich sogar schikanieren, denn er war sich bewusst, welchen Abgrund des Leids der alte Magier durchschritten hatte.
Zudem hatten sie jetzt die Grenze zu einem Land erreicht, das Sennar seit vierzig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Lonerin fragte sich, was er bei dem Anblick wohl fühlen mochte. Dort drüben hatte er Geschichte geschrieben, und vor allem hatte sich dort Nihals Schicksal erfüllt. Die Gegend gab beredtes Zeugnis davon ab; die große Steppe, die Nihal, Sennar und Soana auf der Flucht nach der Zerstörung Salazars durchquert hatten, nachdem Nihal damals nur durch großes Glück mit dem Leben davongekommen war, oder der Bannwald, kaum auszumachen am Horizont, wo einst der letzte Stein gehütet worden war, der den Talisman der Macht vervollständigte, der Elfenstein des Landes des Windes. Lonerin betrachtete Sennars Gesicht und erwartete, dort eine Gefühlsregung zu erkennen, der Spannung, der Trauer. Doch dieses von Falten durchzogene Antlitz blieb eine undurchschaubare Maske.
Sie ließen Oarf an einer Grenzstation zurück und setzten zu Pferd, in lange Umhänge gehüllt, ihre Reise fort. Fast die gesamte Steppe im Norden des Landes des Windes unterstand mittlerweile der Kontrolle des Rats der Wasser, doch der größte Teil des Territoriums wurde immer noch von Dohor und seinen Verbündeten beherrscht.
»Ein alter Kaufmann und sein junger Gehilfe, wer soll da schon Verdacht schöpfen!«, sagte Sennar, als er Lonerin seinen Plan erklärte.
Die Augen des alten Magiers blitzten kurz auf, und Lonerin glaubte, den Grund dafür zu erraten. Sennar hatte sich schon einmal, vor langer, langer Zeit, einer solchen Verkleidung bedient. Und zwar, als er und Nihal damals in das Land der Tage vorgestoßen waren und sie einen Umweg gemacht hatten, damit sie sich die Ruinen Seferdis anschauen konnte.
Vielleicht begann für Sennar nun mit diesem Besuch die einzige ihm mögliche Erlösung, nachdem er sich so lange Jahre in Stille und Einsamkeit gequält und über die Vergangenheit nachgegrübelt hatte. Vielleicht würde ihn, wie Lonerin hoffte, der Aufenthalt an diesem Ort nach und nach gesprächiger machen.
Doch leider blieb es dabei. Dies war der einzige Moment, in dem sich Sennar einmal öffnete. Darüber hinaus kein Kommentar, kein einziger Seufzer. Als sie Salazar noch ein gutes Stück vor sich liegen sahen, hielten sie an. Der alte Magier brachte als Erster sein Pferd zum Stehen und betrachtete lange, mit dem erfahrenen Blick des Strategen, die Umfassungsmauer der Stadt. »Komm«, rief er dann ungerührt, »wir müssen bei Tariks Haus anfangen.« Und schon gab er seinem Pferd wieder die Sporen.
Salazar wirkte chaotisch und sehr arm. Alles hatte sich verändert, es war nicht mehr die Stadt, in der Sennars Geschichte begonnen hatte.
In einem Wirtshaus kehrten sie ein, um kurz etwas zu essen und den Pferden ein wenig Ruhe zu gönnen.
»Ido sagt, dass Tarik im Haus seiner Mutter gewohnt hat.«
Lonerin wunderte sich über die sichere Stimme, mit der der alte Magier dies aussprach.
Hat er den Tod seines Sohnes wirklich schon verwunden?
»Das heißt, wir müssen in den Turm hinauf. Wenn du nichts dagegen hast, machen wir uns gleich auf die Suche. Ich glaube nicht, dass wir auf Hindernisse stoßen werden.«
Lonerin konnte nicht anders, als den Magier lange anzuschauen, worauf dieser mit einem fragenden Blick reagierte.
»Was ist denn?«
Lonerin schlug die Augen nieder und schaute in seinen Bierkrug. »Nichts, nichts, ich bin einverstanden.«
Sennar fügte nichts mehr hinzu, und auch Lonerin schwieg, stierte nur auf sein Bier, ließ einen Finger über den Rand des Kruges wandern.
Wie gern hätte er die Distanz zu Sennar überbrückt, doch der schien nicht gewillt, ihm entgegenzukommen. Hastig aß er seine Suppe, löffelte fast zornig die Brühe in sich hinein.
Langsam stiegen sie den Turm hinauf. Kaum hatten sie das Eingangstor passiert, wurden Sennars Schritte unsicher. Seine Augen verschleierten sich, und sein Blick schweifte über die wohl von einer Feuersbrunst geschwärzten schweren Quadersteine der Mauern.
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