Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
immer wieder davon gequält worden, wenn er nur einen Drachen gesehen hatte. Der Drachenritter, der er bis dahin gewesen war, war mit Vesa gestorben.
Er drehte sich um, nun war er bereit. Nun galt es, noch einen letzten Besuch zu machen, um eine ruhmreiche und tragische Vergangenheit abzuschließen. Und dieser Besuch war der wichtigste.
Sicheren Schritts bewegte er sich durch das Labyrinth der Kanäle. Drei Jahre waren seit damals vergangen, doch kannte er immer noch jeden einzelnen Stein auf diesem Weg. Unzählige Male war er ihn gegangen, und der Schmerz hatte ihn seinem Gedächtnis eingebrannt.
Dieser Teil des Kanalsystems war bei der Einnahme des Widerstandsnests geflutet worden, und bald schon stand Ido fast bis zur Hüfte im Wasser. Von einem Verlangen getrieben, das nicht zu unterdrücken war, ging er weiter. Schließlich sah er ihn. Der untere Teil stand im Wasser, aber die Blumen darüber, die er beim letzten Mal angebracht hatte, waren noch da. Vertrocknet, aber nicht nass. Der runde Stein von einer Elle Durchmesser lehnte an der Felswand, eingraviert ein Muster aus Blumen und Blättern, typische Ornamente in der Bestattungskultur seiner Ahnen, die man dort unten bei den Kanälen häufiger sah.
Langsam, wie in Trance näherte Ido sich der Stelle. Wann hatte er zum letzten Mal geweint? Wann hatte er sich zum letzten Mal diese Schwäche, diesen so süßen Luxus erlaubt? Er legte eine Hand auf Soanas Grabstein, fuhr die Verzie rungen nach bis unter das Wasser, streichelte ihn und spürte dabei, wie ihn der Schmerz mit voller Wucht überkam. Er überließ sich ihm wie einem alten Freund, dem er schon lange nicht mehr die Tür geöffnet hatte, und begrüßte fast freudig diese Tränen.
Schweigend steigt Ido zu ihrer Kammer hinunter. Er weiß, dass nun der letzte Akt gekommen ist.
Vor dem Eingang stößt er auf Khal, den Heilpriester, der Soana während der letzten Monate ihrer Krankheit begleitet hat. Sein Gesicht spricht Bände.
Die Hände an den Seiten, steht Ido wie erstarrt da und weiß, dass er nicht darauf vorbereitet ist, lauscht zerstreut den Worten des Heilpriesters, so als erreichten sie ihn aus unermesslicher Ferne.
»Ich fürchte, ich kann nichts mehr für sie tun, Ido. Es tut mir leid. Die Krankheit hat die ganze Lunge befallen, und in diesem Stadium ist alle Heilkunst machtlos.«
»Wie lange hat sie noch?«, fragt Ido kaum vernehmbar.
Khal senkt den Blick.
»Sag schon!«, faucht Ido ihn an.
»Vielleicht bis morgen früh, länger nicht.«
Es ist aus. Kein Raum mehr für trügerische Hoffnungen, für haltlose Träume. Spätestens morgen würde die gemeinsame Zeit enden, die ihnen das Schicksal zugestanden hatte.
Die Augen niedergeschlagen, betritt Ido auf Zehenspitzen den Raum. »Du musst nicht leise sein. Ich schlafe ja nicht.«
Soanas Stimme klingt schwach und erschöpft. Ido findet den Mut, den Blick zu heben und sie anzuschauen. Selbst ihren von der Krankheit gezeichneten Anblick liebt er noch, ihre Totenblässe, ihre vom Fieber nun fast durchscheinende Haut, die schmalen, aufgesprungenen Lippen. »Komm zu mir. Es ist so weit.«
Sie wirkt gelassen, ruhig, als gelte es nur, sich wie so oft in ihrem Leben auf eine große Reise zu machen, eine Reise allerdings, bei der er allein Zurückbleibt, unfähig, irgendwie damit zurechtzukommen.
Jetzt tritt er auf sie zu, setzt sich neben sie und findet die Kraft, sie anzuschauen. Sein Blick verweilt bei jeder Einzelheit ihres Gesichtes, den tief 15 liegenden, blau umränderten Augen, der runzeligen Haut, dem so schmal gewordenen Halsansatz.
Werde ich sie so für den Rest meines Lebens in Erinnerung behalten? Ein kranker, ans Bett gefesselter Leib?, fragt er sich.
Er kann die Tränen nicht zurückhalten.
Soana schließt die Augen, atmet mühsam. »Bitte, tu das nicht.«
»Was bleibt mir denn sonst übrig?«
Sie schweigt.
Ido ergreift ihre Hand, drückt sie. Unzählige Male hat er ähnliche Situationen schon erlebt. Bis zum Überdruss. Aber nie in all den Kriegsjahren hatte er daran gedacht, dies einmal mit Soana durchmachen zu müssen. Er hatte geglaubt, ein Pfeil oder ein Dolch, Schwert oder Gift würden dem zuvorkommen, und Soana würde es sein, die an seinem Sterbelager wachte. Doch so gnädig will das Schicksal nicht mit ihm sein.
»Sei nicht so traurig«, hebt Soana, mühsam sprechend, wieder an. »Wir hatten doch unsere gemeinsamen Jahre. Für mich sind sie ein kostbares Geschenk. Und ich habe alles erlebt, was das Leben bietet,
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