Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
und alles getan, was ich zu tun hatte. Ich habe nichts versäumt.«
»Aber hätte ich dich doch bloß nicht gezwungen, hier unter der Erde Zu leben, in diesen verdammten Kanälen, wäre ich nicht so sturköpfig gewesen, immer weiter den Kampf zu suchen, die Kriege. . . «
Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. »Nein, Ido, es war meine freie Entscheidung, dich zu begleiten.«
Er schüttelt den Kopf. Will sich nicht abfinden. »Hätte ich dir früher gesagt, dass ich dich liebe, wären uns noch viel mehr Jahre geblieben.«
Soana lächelt. »Doch die Jahre, die wir hatten, kann uns keiner mehr nehmen. Und es war keine kurze Zeit.«
Für ihn ist sie wie im Flug vergangen. Er küsst ihre Hand, drückt sie, weint. »Ido . . . « Soana weiß nicht mehr, wie sie ihn trösten soll.
Und Ido denkt, dass der Tod eines geliebten Menschen nie natürlich sein kann, dass es immer so etwas wie Mord ist, eine brutale Beraubung. Wie der Verlust eines Armes-. Er wird einem immer fehlen, und man kann sieb nicht damit abfinden. Vielleicht ist das Leben einfach so, aber wenn es so ist, dann ist es ungerecht, und es wäre vielleicht besser, es gar nicht zu leben.
»Lass mich nicht auf diese Weise gehen, Ido, mit dem Schmerz, dich so verzweifelt zu sehen.«
Ido spürt, dass ihm die Worte fehlen.
»Glaub mir, auch darüber wirst du hinwegkommen. Du musst es nur wirklich wollen.« Leise laufen Ido weiter die Tränen über die Wangen und benetzen Soanas Hand. In diesem tiefen Schacht, in den er sich gestürzt fühlt, kann er sich unmöglich vorstellen, eines Tages noch einmal die Sonne zu sehen. Und er will es auch gar nicht. Wenn Soana stirbt, ist es nicht mehr als richtig, selbst nur noch in Finsternis weiterzuleben für die restliche Zeit, die ihm noch bleibt. »Bitte, lass uns von etwas anderem reden.«
Soana zwingt sich zu einem Lächeln und versucht, ihre Stimme so normal wie möglich klingen zu lassen, doch sie bekommt kaum noch Luft. »Erinnerst du dich noch an den Abend, als ich dich bat, bei dir bleiben zu dürfen?«
Ido schließt die Augen. Und sieht sie nun wieder so, wie sie damals war, hat genau dieses Bild vor Augen, als seien seit damals nicht so viele Jahre vergangen. Jetzt hat er keinen Zweifel mehr, jetzt weiß er, dass er sie so und nicht anders in Erinnerung behalten wird. »Wie könnte ich das vergessen?«
»Oder Dohors Hochzeit mit Sulana, als wir zusammen vor dem Brautpaar standen. Wie hast du dich geschämt!«
»Ich hob mich doch nicht geschämt!«, braust Ido auf.
»Und ob. Aber nicht für mich. Sondern für dich selbst, weil du das Knie beugen musstest.«
Ido lächelt errötend.
So unterhalten sie sich weiter, denken zurück an das, was sie zusammen erlebt haben, an die unzähligen gemeinsamen Momente, die die vergangenen zwanzig Jahre ihnen geschenkt haben. Und als sie zu erschöpft ist, um weiterzusprechen, und ihr Atmen in ein schwaches Röcheln übergebt, redet er für sie beide. Und irgendwann ist es so weit, die Kerze erlischt, und undurchdringliche Stille und Finsternis machen sich breit. »Soana ...«, murmelte Ido im Halbdunkel, und er sah sie vor sich, strahlend, lächelnd, ein Bild betörender Schönheit.
>Du bist zurückgekehrt ... < >Ich kann aber nicht bleiben.< >Ich weiß.< >Aber ich konnte nicht aufbrechen, ohne dir noch Lebwohl zu sagen.< Sie lächelte: >Ich bin stolz auf dich, Ido.< Langsam rannen die Tränen über die Wangen seines alten bärtigen Gesichts. >Beschütze ihn und rette ihn, wenn er in Gefahr ist.< Ido öffnete die Augen. Vor ihm war nur der kalte Stein. Und doch war Soana da, das spürte er, war bei ihm für immer.
Die Bestie
Einen Augenblick lang verharrte die Schattenkämpferin, während ihr der kalte Schweiß den Rücken hinunterlief. Dann holte sie Luft und fuhr herum, die Hände mit den Messern darin wurfbereit vor der Brust.
Dubhe schleuderte das erste und sofort auch das zweite, doch vergeblich. Wie schon befürchtet, sprang Rekla zur Seite und wich beiden aus. So stand sie da, mit dem Dolch in der Hand und einem triumphierenden Grinsen im Gesicht. Das Mädchen erkannte sie kaum wieder. Sie war es und gleichzeitig auch wieder nicht. Uber zehn Tage hatte Rekla ihren Trank nun nicht mehr eingenommen, und das jäh hereingebrochene Alter zeigte verheerende Wirkungen. Ihre Gesichtshaut war runzelig und hing schlaff wie ein nasser Lappen an ihrem knöchernen Schädel herunter. Von ihren glänzenden Locken war nichts mehr übrig geblieben, und ihr strähniges
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