Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
Drachen verlangte Dohor eine Gegenleistung.
»Ich werde Euch die Beseelung toter Körper genauer erklären.«
Das ließ sich gut verkaufen und kostete Yeshol nicht viel. »Ich hoffe, das wird nur der Anfang sein«, entgegnete Dohor mit schneidender Stimme. »So ist es.« Der König lächelte grimmig im Halbdunkel. Dann wandte er sich ab und verließ ohne weiteres Wort den Tempel.
Yeshol wartete, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, und trat dann hinter die Thenaar-Statue, von wo aus die Geheimtreppe in den Bau der Gilde hinunterführte. Nun galt es, eine weitere dringliche Angelegenheit zu verhandeln.
Lautlos, wie von ihm gewohnt, betrat Sherva, der Waffenmeister, Yeshols Studierzimmer. Niemand im ganzen Haus verstand sich besser als er auf alle Techniken des Anschleichens und den Kampf mit bloßen Händen.
Er war ein fast unnatürlich schlanker Mann mit langen Gliedmaßen, die durch hartes Training immer biegsamer geworden waren. Sein vollkommen kahler Kopf und seine länglichen Gesichtszüge gaben ihm etwas von einer tückischen Schlange.
In jüngster Zeit nun wirkte sein Gesicht noch ausgezehrter als gewöhnlich. Das lag an seinem schlechten Gewissen, einer unterschwelligen Angst, hervorgerufen durch die Erinnerung an ein überflüssiges Gespräch mit Dubhe vor einiger Zeit, ein Gespräch, das nun leider stark nach Verrat schmeckte. Tatsache war, dass er, Sherva, Dubhe indirekt bei der Flucht aus den Katakomben der Gilde geholfen hatte.
Damals hatte sie ihn völlig verzweifelt gefragt, wo sich die Unterkünfte der Wächter, der höhergestellten Assassinen also, befänden, die nicht im selben Flügel wie die anderen Gildenmitglieder schliefen. Und er, der sich nur der Zweckmäßigkeit halber und ohne an Thenaar zu glauben, in der Gilde aufhielt, hatte es ihr verraten. Wieso, war ihm jetzt selbst ein Rätsel. Und wenige Tage später war Dubhe geflohen.
Damit begann die Hölle für ihn. Wenn der Höchste Wächter ihn jetzt zu sich bestellte, verspürte er jedes Mal einen Kloß im Hals, und sein Herz schlug schneller.
Mit blassem, ernstem Gesicht kniete er auch nun vor Yeshol, der sitzen blieb, nieder.
»Nun, wie weit bist du mit deinen Nachforschungen gekommen?«
Sherva seufzte erleichtert auf. Yeshol schien also nicht im Bilde zu sein. »Wir wissen jetzt, wo Tarik lebt.« »Hervorragend.«
»Er hat eine Frau, Talya mit Namen, und einen Sohn, San.«
»Wie alt?«, fragte Yeshol und richtet sich auf seinem Stuhl auf.
Verwundert hob Sherva leicht den Kopf. »Was ...?«
Er verstand nicht, was Yeshol meinte.
»Tariks Sohn, wie alt ist der?«
»Zwölf, unseren Kenntnissen nach.«
Yeshol sprang auf, sein Gesicht strahlte. »Das ist ein Zeichen des Schicksals, ein echtes Wunder!«, rief er, während er Sherva mit glänzenden Augen anblickte. »Zwölf Jahre . . . «
Der Assassine begriff immer noch nicht, was den Höchsten Wächter an dieser Mitteilung dermaßen begeisterte.
»Das passt ja exakt zu unseren Plänen . . . «
Er streichelte die Thenaar-Statue, die hinter seinem Schreibtisch thronte, und strich über die kleine Aster-Statue zwischen den Beinen des Gottes. Sherva kannte sie gut, diese kleine Statue, überall im Haus waren Nachbildungen davon aufgestellt, aber kaum war nun sein Blick darauf gefallen, dämmerte es ihm. Sie stellte einen Knaben dar, den Knaben, der Aster bis zu seinem Tod gewesen war. Yeshol wandte sich ab und nahm wieder Platz. »Du bist wohl nicht vertraut mit den Theorien zur Verbindung von Geist und Körper . . . « Er beugte sich zu Sherva vor. »Seele und Körper sind nicht getrennt zu sehen, sondern als feste Einheit. So könnte die Seele eines Mannes niemals i n den Körper einer Frau verpflanzt werden. Dort würde sie nicht überleben. Und ebenso würde auch der Geist eines Gnomen im Körper einer Nymphe absterben müssen. Daher plante ich, Tarik als Hülle für Asters Seele zu verwenden, weil beide die Söhne einer Halbelfe und eines Menschen sind. Doch das reicht vielleicht nicht. Ich wünsche mir, dass Aster wirklich im Vollbesitz all seiner Kräfte auf die Erde zurückkehrt.« Yeshol atmete einmal tief durch und schloss die Augen, wie immer wenn er an seinen früheren Herrn dachte.
»Vierzig Jahre lang war Asters Geist im Leib eines zwölfjährigen Knaben gefangen, und diese lange Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Damit sich seine Seele nach der Wiedererweckung voll entfalten kann, braucht sie einen Körper, der jenem, in dem sie einst wohnte, so
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