Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
aufgeschlitzt, und eine feine, rote Linie zieht sich über seine blasse Haut. Es ist wirklich nicht mehr als ein Kratzer, aber er wird jetzt stinksauer. Er verzieht das Gesicht, und dann ist er auf einmal verschwunden.
Oh Scheiße.
Ich haste nach hinten. Mein Arm wird taub, als mir der Dolch aus der Hand geschlagen wird. Micid, der noch immer unsichtbar ist, prallt gegen mich. Ich lande auf dem Rücken. Seine Hand presst mir die Kehle zusammen. Ich versuche, seine Finger zu lösen, die ich nicht sehen kann, und will um Hilfe schreien, aber ich bekomme keine Luft mehr. Die Wand ist doch zur Seite geglitten, oder? Wo zum Teufel bleibt …?
»McKenzie?« Naito steht über mir. Während vor meinen Augen alles verschwimmt, sehe ich, wie er mich von Kopf bis Fuß mustert. Dann tritt er endlich zu.
Micid stöhnt auf. Ich hole tief Luft und schlage an der Stelle zu, an der sich sein Kopf befinden müsste, aber ich treffe ihn nicht.
»Naito!«, kann ich gerade noch schreien, bevor sich erneut eine Hand um meinen Hals legt.
Naito stürzt sich auf mich. Der andere Mensch hilft ihm, indem er auf die Leere zwischen uns einschlägt. Ich rutsche über den Boden und versuche, dem Kampfgetümmel zu entkommen, damit ich wieder Luft holen kann. Als ich wieder normal atme, ist der Kampf vorüber.
»Was ist das?« Naito schiebt Micid, der offensichtlich noch im Zwischenreich gefangen ist, zur Seite.
»Hast du schon mal von einem Ther’rothi gehört?«
Er runzelt die Stirn. »Die existieren nicht.«
»Offensichtlich tun sie das doch«, entgegne ich und rapple mich auf. Der andere Mensch hilft Naito beim Aufstehen. »Lord Raen hat ihn angeheuert, um bei deiner Befreiung zu helfen.«
Naito, der sich gerade den Staub von der Kleidung klopft, stockt und versteift sich. »Lord Raen?«
Ich bekomme nicht die Gelegenheit, es ihm zu erklären. Schnelle Schritte nähern sich, und dann kommt der Fae, der das Gittertor zum Geräte- und Waffenlager bewachen sollte, um die Ecke. Er bleibt stehen und sieht uns über seine ausgestreckte Klinge hinweg an. Als ich seinem Blick folge, merke ich, dass er direkt auf die Blutlache sieht.
»Wir haben ihn nicht getötet«, sage ich, auch wenn ich von Schuldgefühlen zerfressen werde. Ich bin zumindest teilweise für Garrads Tod verantwortlich. Ich habe Micid hierhergebracht.
»Zurück in die Zelle« , befiehlt der Fae und macht einen Schritt nach vorn. Ich weiche vor ihm zurück. Naito bleibt stehen, aber der andere Mensch geht nach links, bückt sich und hebt meinen Dolch vom Boden auf.
»Zurück in die Zelle, Evan«, versucht es der Fae auf Englisch.
»Nein«, erwidert Evan. Er kann nicht darauf hoffen, mit dem Dolch einen Fae auszuschalten, und erst recht keinen von Kyols Schwertkämpfern. Doch er scheint verzweifelt zu sein, denn er schlägt mit einem aggressiven – und fast schon wieder lustigen – Brüllen in die Luft.
Ich runzle die Stirn und frage mich, ob er durch die Gefangenschaft vielleicht einen Knacks abbekommen hat. Dann sehe ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung.
Der Schaft eines Speers schlägt auf den Kopf des Fae. Er fällt um wie ein Stein, und hinter ihm steht Lord Raen.
»Wo ist Micid?« , will er wissen.
Ich deute mit einer Hand auf den Boden hinter mir. »Irgendwo da drüben.«
Sein Gesicht wird hart. »Er war deine Eskorte.«
»Offenbar brauchen wir einen Plan B.« Ich werde mich nicht für das entschuldigen, was Micid passiert ist. Ich vermute, dass der Ther’rothi bewusstlos und nicht tot ist, entweder durch das Gift auf meinem Dolch oder Naitos und Evans Attacken.
»Plan B?« , fragt Lord Raen. Er versteht es nicht, und ich werde es ihm auch nicht erklären.
Naito geht an Raen vorbei, ohne ihn auch nur anzusehen, und kniet sich neben den bewusstlosen Fae-Wachmann. Er durchsucht seine Kleidung, findet einige Schlüssel an einem Metallring und steckt den Bund ein.
Evan schnallt sich ein Schwert um, nimmt eine Armbrust von der Wand und sieht sich dann den restlichen Lagerraum an. »Nett von Taltrayn, uns in einem Waffenarsenal einzusperren.«
Naito nimmt sich das Schwert des Wachmanns. Als er aufsteht, geht Lord Raen auf ihn zu. »Kelia. Ich muss mit ihr sprechen.«
Als Naito dem Edelmann den Rücken zudreht, verspüre ich Mitgefühl mit ihm. Ich weiß nicht, was Raen gemacht hat, dass Naito ihn so sehr hasst oder dass seine Tochter den Kontakt zu ihm abgebrochen hat. Es muss etwas sehr viel Schlimmeres sein als nur die Ablehnung ihrer Beziehung.
Lord
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