Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
Gefängnisses erstreckt sich vor unseren Füßen. Die Sonne geht irgendwo hinter uns unter. Wenn wir noch zwanzig Minuten warten würden, dann könnten wir im Schutz der Dunkelheit fliehen, aber so lange können wir hier nicht rumstehen. Aren drückt meine Hand, dann laufen wir los.
Die kalte Luft brennt in meinen Lungen, und ich bekomme so heftiges Seitenstechen, dass ich am liebsten zusammengebrochen wäre, aber ich bleibe erst stehen, als wir die ersten Bäume erreichen und Aren endlich sein Tempo drosselt. Doch noch kann man uns vom Gefängnis aus sehen, also zwinge ich meine Beine, weiterzugehen. Ich stolpere einmal, finde mein Gleichgewicht wieder und stolpere erneut. Wenn ein Fae, der Kyol nicht treu ergeben ist, in diese Richtung sieht, dann wird er uns entdecken. Ein Bogenschütze könnte uns noch immer treffen. Ich muss weiterlaufen.
Das gelingt mir noch zehn, vielleicht fünfzehn Minuten lang, bis ich Arens Hand nehme und ihn dazu bringe, stehen zu bleiben. Nicht, weil ich glaube, dass wir in Sicherheit wären, sondern weil wir in Richtung Westen und tiefer in den Barren hineinlaufen. Das Adrenalin, das mich so weit hat rennen lassen, ist versiegt, und ich habe wieder einen klaren Kopf – zumindest klar genug, um zu wissen, dass wir nicht in diese Richtung laufen sollten.
»Wir müssen zum Tor in Belecha«, sagt Aren. »Rokan ist näher, aber der Hof wird damit rechnen, dass wir dorthin gehen.«
Belecha liegt am anderen Ende des Barren. Selbst wenn ich so weit laufen könnte, ohne mich auszuruhen, bräuchten wir wenigstens einen Tag, bis wir dort ankommen. So viel Zeit haben wir nicht.
»Radath schickt Truppen nach Lynn Valley«, sage ich.
Er sieht mich überrascht an. »Was? Wann?«
»Sie könnten schon dort sein. Lord Raen sagte, sie würden ›morgen bei Einbruch der Dunkelheit‹ angreifen, was somit heute wäre.« Ich werfe einen Blick auf die untergehende Sonne, auch wenn sie keinen Hinweis darauf gibt, wie spät es jetzt in Vancouver ist. »Vielleicht greifen sie in diesem Moment an.«
»Lord Raen?« Er runzelt die Stirn. »Kelias Vater?«
»Er hat mir dabei geholfen, Naito und Evan zu befreien.«
»Naito und … Sie sind beide frei, sie leben?«
»Ja, ich denke schon.« Ich streiche mit der Hand über mein zerzaustes Haar. »Radath hat Kyol befohlen, sie zu exekutieren, doch das hat er nicht getan. Ich habe dir doch gesagt, dass er so etwas nie tun würde. Allerdings wollte er sie auch nicht gehen lassen. Ich wurde erwischt, als ich ihnen beim Ausbruch geholfen habe.«
Er starrt mich einige Sekunden lang an. »Lynn Valley. Bist du dir ganz sicher?«
Ich wünschte, es wäre anders. »Ja.«
»Okay.« Er sieht erst nach links, dann nach rechts, als würde er sich in dem nicht gerade dichten Wald nach einer Lösung für dieses Problem umsehen.
»Okay«, sagt er erneut und nimmt meine Hand. Wir gehen etwa ein Dutzend Schritte, als er die Finger anspannt und schneller geht. Nach einigen weiteren Schritten stößt er einen Fluch aus.
Er fängt an zu laufen, aber wir sind noch immer in Richtung Westen unterwegs. Er muss nach Osten, wenn er es noch rechtzeitig bis zum Rand des Barren schaffen will, um einen Riss zu öffnen und die Rebellen zu warnen. Es könnte jetzt schon zu spät sein.
Ich entziehe ihm meine Hand. »Geh. Ist schon in Ordnung.«
Er schüttelt den Kopf. »Ich kann dich nicht alleine lassen.«
»Du darfst sie nicht im Stich lassen.«
Seine Augen spiegeln seinen inneren Zwist wider, als er mich ansieht. »McKenzie …«
»Wenn der Hof die Rebellen dort findet und sie angreift, dann könnten auch Menschen mit hineingezogen werden. Du musst gehen.«
Er sieht zu Boden. Dann schüttelt er den Kopf, holt einen kleinen Beutel aus der Tasche, den er an meinen Gürtel bindet, und löst einen Dolch von seinem Riemen. Er schiebt die Hände unter meinen Umhang und steckt mir die Scheide mit dem Dolch am Rücken in den Hosenbund.
Danach macht er einen halben Schritt nach hinten, lässt die Hände aber auf meiner Hüfte liegen. »Geh weiter nach Westen. Bis zum Morgen müsstest du eine Straße erreichen. Geh nach rechts und auf Belecha zu. Unterwegs gelangst du an eine Kreuzung. Ich werde morgen früh da sein und auf dich warten, aber falls ich nicht …« Er holt tief Luft. »Falls ich nicht da sein sollte, musst du alleine weitergehen. Behalt die Kapuze auf, und versteck deine Chaosschimmer. Warte, bis es dunkel ist, bevor du die Stadt betrittst, und such dir dann eine Schenke,
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