Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
Unter dem Armband leuchtet ihre Haut leicht bläulich.
Sie dreht ihr Handgelenk und starrt die Digitalanzeige fasziniert an. Das Licht, das durch die Tür hereinfällt, hat nicht ausgereicht, damit ich erkennen konnte, wie spät es ist, aber sie ist eine Fae und wird die Zahlen sehen können.
»Danke«, sagt sie, ohne mich anzusehen.
»Da ist ein … Siehst du den kleinen Knopf da rechts? Wenn du da draufdrückst, leuchtet sie.«
»Wirklich?« Sie drückt auf den Knopf, und drei nadeldünne Edarratae sausen über ihre Finger und breiten sich auf ihrem Handrücken aus wie winzige blaue Spinnenweben. Sie verschwinden, als sie den Knopf loslässt, und tauchen erneut auf, als sie ihn ein zweites Mal drückt. Nachdem sie das etwa ein Dutzend Mal gemacht hat, lässt sie endlich die Hände sinken. Die Faszination verschwindet aus ihrem Gesicht, als sie bemerkt, dass ich sie beobachte.
Sie räuspert sich. »Es ist Zeit fürs Frühstück.«
Ich schließe die Augen und presse die Hände an die Schläfen. Nachdem ich drei ganze Tage lang alles wiederholt habe, was Kelia gesagt hat, und den Namen aller Dinge, auf die sie deutet, genannt habe, bin ich langsam am Ende.
»Es reicht!«, schreie ich.
»Na raumel e’Sidhe« , erwidert sie ruhig. In der Sprache der Fae .
»Nein. Es reicht. Ich brauche eine Pause.« Außerdem fällt mir die Übersetzung für »es reicht« nicht mehr ein, und ich bin erschöpft. Und für mich gewesen bin ich, seit Aren mich hierhergebracht hat, nur, wenn mich die Rebellen in meine Zelle eingesperrt haben.
Okay. In mein Zimmer. Und die Rebellen waren auch nicht gerade gemein zu mir. Sie haben darauf geachtet, dass ich viel zu essen und zu trinken bekomme, und seit dem ersten Tag hat mich auch niemand mehr offen bedroht, aber sie sind immer in meiner Nähe. Sie beobachten mich unablässig, werfen mir finstere, abschätzende Blicke zu. Sie hätten mich auch gleich in Ketten legen können, da ich bisher keine einzige Gelegenheit zur Flucht hatte.
Kelia verschränkt die Arme und stellt sich wartend vor mich hin, aber wenn sie denkt, sie könnte auch nur halb so dickköpfig sein wie ich, dann hat sie sich geirrt. Seit Beginn dieses Unterrichts bin ich die perfekte Schülerin gewesen. Ich habe noch nie zuvor in meinem Leben so viele Informationen in so kurzer Zeit aufgenommen, nicht einmal an dem Abend, an dem ich vom Schattenlesen im Reich zurückgekehrt war und die Nacht durchmachen musste, um für eine Prüfung zu lernen, für die ich eigentlich seit Tagen hätte lernen sollen.
Kelia unterrichtet mich auf Fae. Ich muss die Worte nicht verstehen – ihren Sinn erkenne ich am Klang ihrer Stimme –, aber im Moment ist es mir völlig egal, ob sie mich der Tochter des Zarrak übergibt. Ich kann kein einziges neues Wort mehr lernen. Und das hilft auch nicht.
Schließlich begreift sie, dass sie gegen eine Wand anredet – eine sehr müde, grummelige, unbewegliche Wand. Ihre Schultern sacken zusammen, als sie ihre Kampfeslust verliert.
»Gut«, meint sie dann und schürzt gereizt die Lippen. »Hast du Hunger?«
»Nein.« Wir haben erst vor etwas mehr als einer Stunde mittaggegessen und hatten davor noch einen kleinen Snack. Außerdem vermute ich, dass das ohnehin nur ein Trick ist, damit ich die Namen der Lebensmittel und der Besteckteile lerne, aber es ist mein Ernst, dass ich heute kein Wort Fae mehr lernen will.
Ich gehe zum Picknicktisch und sehe auf meine eingeritzte Karte hinab. Meine Schattenlesungen sehen immer aus, als ob sie ein Schizophrener gezeichnet hätte. Diese ist noch schlimmer als die anderen, größer und unsauberer, mit einer Reihe von Linien, die abrupt aufhören, nur um einige Zentimeter weiter rechts wieder anzufangen, wo meine mentale Karte vergrößert wurde. Für einen normalen Menschen muss meine Skizze aussehen wie die Zeichnung eines Kindergärtners, aber für die Fae, denen ich den Namen einer Stadt oder einer Region nenne, ist sie so gut wie ein geprägter Ankerstein. Ohne einen Ankerstein oder einen Schattenleser, der den Ort auf der Karte nennt, können Fae nur Risse zu Orten öffnen, die sie bereits kennen. Das ist ähnlich wie bei Menschen und Telefonnummern: Sie können sich Dutzende merken, aber wenn sie nicht sehr oft an sie denken oder gelegentlich wählen, dann neigen sie dazu, sie komplett zu vergessen.
Ich setze mich auf den Obstgarten in meiner Zeichnung, stütze die Ellbogen auf die Knie und starre meine Stiefel an. Während ich heute Morgen
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