Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
zwanzig Minuten dauern, bis ihre Wirkung einsetzt.
»Wer bist du?«, will ich wissen.
»Ich bin … Kelia.«
Interessant, dass sie gezögert hat. Mir ist noch nie ein Fae begegnet, der mir bei der ersten Begegnung nicht gesagt hat, wessen Sohn oder Tochter er ist. Will hier vielleicht jemand seine Herkunft verschleiern?
»Ist das da ein Premthyste in deinem Haar?« Inzwischen bin ich mir sicher, dass ich den Stein erkannt habe. Nur wenige berühmte Blutlinien tragen heutzutage noch Namensbänder. Sie muss eine Tochter von Cyneayen sein. Wenn ich mich recht erinnere, ist Lord Raen, der Älteste von Cyneayen, strikt gegen alles Menschliche. Er spricht kein Wort Englisch, und jedes Mal, wenn ich ihm begegne, sieht er mich so finster an, als würde er durch mich Sodbrennen bekommen. Dieses Mädchen – Kelia – spricht perfekt Englisch. Sie hat einen amerikanischen Akzent und würde unter Menschen überhaupt nicht auffallen, solange niemand die Gabe besitzt, Edarratae zu sehen.
Sie macht die Lippen schmal. »Aren möchte, dass ich dir unsere Sprache beibringe.«
Ich wollte sie eigentlich fragen, wieso sie meine Frage nicht beantwortet hatte, doch ihre Aussage ließ mich stutzen. Mir Fae beibringen? Warum in aller Welt sollte Aren so etwas tun? Er spricht Englisch. Ebenso wie Sethan, Lena und alle anderen, die mit Menschen zusammenarbeiten müssen. Es würde mich nicht überraschen, wenn die halbe Rebellion meine Sprache spricht. Außerdem, würde ich nicht viel gefährlicher sein, wenn ich ihre Gespräche belauschen kann? Im Moment könnten sie ihre komplette Kriegsstrategie erörtern, und ich hätte nicht den leisesten Schimmer, worüber sie sprechen.
»Das hat der König verboten.« Es ist nicht so, dass ich Fae nicht lernen will – das würde ich nur zu gern –, aber ich habe mich so daran gewöhnt, es nicht zu können. Ich bin es gewohnt, unsere Kulturen so weit wie möglich auseinanderzuhalten.
»Er hat uns auch verboten, die Sprachen deiner Welt zu lernen«, erwidert Kelia prompt. »Das hat uns trotzdem nicht davon abgehalten, es zu tun. Es sollte dich auch nicht daran hindern, es sei denn, du hast Angst vor dem Hof.«
Angst vor dem … Jetzt begreife ich, was er vorhat. »Aren fängt gleich groß an, was?«
Kelia zieht die Augenbrauen hoch. »Was meinst du?«
»Ach, vergiss es.« Das ist ein teuflisch cleverer Schachzug von ihm. Er macht mit diesem Angebot auch gleich eine Aussage: Der Hof vertraut mir nicht genug, um mich ihre Sprache lernen zu lassen, aber Aren tut es, zumindest will er mich das glauben machen. Netter Versuch, aber ich bin nicht dumm. Der einzige Weg, mich davon zu überzeugen, dass seine Absichten gut sind, wäre, wenn er mich gehen ließe, nachdem ich ihre Sprache gelernt habe. Dummerweise haben sowohl er als auch Sethan klargemacht, dass das keine Option ist, solange dieser Krieg andauert, und jetzt werde ich auf Arens Manipulationen nicht länger reinfallen.
Aber ich werde sie ausnutzen.
»Okay, ich bin dabei«, sage ich und stehe etwas zu schnell auf. Meine Muskeln protestieren bei der Bewegung, und mir wird schwarz vor Augen.
Sie starrt mich einen Moment lang an. »Nach dem Frühstück.« Als sie sich schon umdrehen will, greift sie auf einmal nach meiner Hand.
Ich balle die andere zur Faust und halte mich bereit, um mich zu verteidigen.
»Ist das eine Armbanduhr?«, fragt sie.
Ich zögere. »Äh, ja.« Es ist eine billige Digitaluhr, die ich für 14,99 Dollar bei Wal-Mart gekauft habe.
Kelias silberne Augen weiten sich. »Darf ich sie tragen?«
Ich entziehe ihr meine Hand und reibe sie an meiner Jeans, um das Prickeln durch ihre Edarratae zu vertreiben. »Das ist Technologie.«
»Aber nur eine kleine«, meint sie gelassen. »Bitte? Ich gebe sie dir auch zurück.«
Was zum Teufel ist nur los mit ihr? Kyol hasst es, wenn ich meine Uhr trage, und ich bin ehrlich überrascht, weil mich Aren nicht aufgefordert hat, sie abzunehmen, damit sie auf demselben Technologiefriedhof landet, auf dem sich auch mein Handy befindet.
»Bitte?«, sagt sie erneut.
Tja, es ist ihre Magie. Ich nehme die Uhr ab und halte sie ihr hin. Chaosschimmer leuchten an ihrem Arm, als sie sie nimmt. Sie lässt sich von deren gehäuftem Auftreten nicht irritieren und versucht, das Band an ihrem Handgelenk zu verschließen. Es ist offensichtlich, dass sie so etwas noch nie gemacht hat – wie sollte sie auch? –, daher helfe ich ihr, den kleinen Metallhaken in ein Loch des Gummiarmbands zu stecken.
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