Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
auf die Wange. »Aber was für ein Mann bist du? Wirst du zulassen, dass dein Mädchen und der Mensch sterben, wenn du ihnen doch helfen kannst? Wenn du diesen Kampf in die Länge ziehst, hat dein Vater gar keine andere Wahl, als euch alle zu töten.«
Aren macht einen Schritt auf den Vigilanten zu. »Warum bist du so erpicht darauf, dass wir aufgeben? Ihr habt uns umzingelt. Du hast selbst gesagt, dass ihr am längeren Hebel sitzt.«
Tom kriecht zu seinem umgekippten Stuhl. Dann stellt er ihn auf und zieht sich langsam daran hoch, um sich, eine Grimasse schneidend, darauf sinken zu lassen. »Das tun wir.«
Ich würde mich am liebsten zwischen Aren und den Menschen werfen. Tom ist schwer verletzt. Ich will nicht, dass Aren ihm noch mehr antut. Ich will ihn nicht noch einmal schreien hören oder sein brennendes Fleisch riechen müssen, aber ich bleibe wie angewurzelt stehen.
»Irgendetwas wird passieren«, fährt Aren fort. »Was?«
Ich will mich schon einmischen, aber dann muss ich plötzlich husten. Ich halte die Hand vor den Mund und sehe, dass meine Haut von Silberstaub bedeckt ist. Die Luft ist jetzt voll davon, und er ist vermutlich ziemlich schlecht für meine Gesundheit. Doch es lässt sich nicht verhindern, ihn einzuatmen.
Ein weiterer Donner erschüttert das Gasthaus. In dem Moment habe ich den Vigilanten durchschaut.
»Es wird regnen«, sage ich.
Alle in der Küche starren mich an. Ich warte darauf, dass mich einer von ihnen fragt, warum zum Teufel ich mir Gedanken wegen des Wetters mache, aber dann scheint es einer nach dem anderen auch zu begreifen.
Tom springt von seinem Stuhl auf. »Du beschissenes Fae-Miststück!«
9
A ren stellt sich Tom in den Weg. Der Mensch bleibt abrupt stehen, und sein gutes Auge weitet sich, was ich über Arens Schulter hinweg sehen kann. Ich begreife erst, dass er tot ist – nein, stirbt –, als Aren ihn nach hinten schubst. Sein Dolch gleitet mit einem schmatzenden Geräusch aus Toms Brust. Eine rote Fontäne schießt aus der Wunde und bespritzt den Linoleumboden.
Tom bricht zusammen, und ich kann nichts weiter tun, als ihn anzustarren, während das Leben in einem purpurroten Strom aus ihm herausläuft. Das ist meine Schuld. Ich hätte den Mund halten sollen.
Ich kann den Blick erst von dem toten Menschen abwenden, als Naito Kelias Arm nimmt und sie zum Spülbecken zerrt. Er dreht den Wasserhahn auf, lässt Wasser in seine hohle Hand laufen und schüttet es dann über ihre Schulter, um den grauen Staub von ihrer Haut zu wischen.
»Wenn wir dich sauber machen und warten, bis der Regen das Silber abgewaschen hat, kannst du einen Riss öffnen und verschwinden.«
Aren steigt über Toms Leiche. »Wenn wir wissen, dass das Unwetter kommt, dann wissen sie das auch. Sie werden vorher zuschlagen.«
Naito schaufelt weiter Wasser über Kelia. »Ihr müsst sie auf Abstand halten. Sie haben keine Chance, sobald ihr Risse öffnen könnt. Spart nicht mit Pfeilen. Erschießt alles, was sich bewegt.« Er gibt seine Methode, Kelia zu waschen, auf, nimmt ihre Hände und taucht sie ins Becken.
Sie zieht die Luft ein. »Das ist kalt.«
»Ich weiß, Baby, aber wir müssen das Silber von dir runterbekommen.«
»Duschen wäre schneller«, meint Sethan. »Wir müssen uns auch was Neues anziehen und das Gasthaus vom Staub säubern.«
Aren nickt. »Wir wechseln uns ab. Ihr drei fangt an. Nehmt McKenzie mit.«
Es gefällt mir nicht, die Treppe raufgeschoben zu werden – ich wäre jetzt am liebsten alleine –, aber ich bin auch froh, von Toms Leiche wegzukommen. Ich hocke mich in den Flur mitten im ersten Stock, ziehe die Knie an die Brust und warte auf den Regen. Doch ich höre nur hin und wieder Schüsse. Fast rechne ich schon damit, die Kugeln zu spüren, aber die Wände und Rohre scheinen zu verhindern, dass sie bis ins Innere des Gasthauses vordringen.
Die Fae duschen und ziehen sich was anderes an. Aren ist der Letzte, der nach oben kommt. Er hat einen Jaedrik -Brustharnisch, ein sauberes Wollhemd und eine Hose in der Hand. Bevor er sich ins Bad einschließt, würdigt er mich nicht eines Blickes. Ich stehe auf und gehe ein Stück den Flur hinunter, da ich mich nicht in der Nähe der Badezimmertür aufhalten will, wenn Aren wieder rauskommt. Die Versuchung, mir einen Wandschrank zu suchen, um mich darin zu verstecken, wird noch größer als zuvor. Das wäre vermutlich der sicherste Ort für mich.
»Du öffnest einen Riss, sobald du kannst.« Naitos Stimme dringt aus dem
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