Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
überstehen.
»McKenzie«, ruft eine bekannte Stimme. »Wo zum Teufel hast du nur gesteckt?«
Ich drehe mich um und habe schon eine Entschuldigung auf der Zunge, komme aber nicht dazu, sie auszusprechen, weil Paige die Arme um mich wirft.
»Du rufst mitten in der Nacht an und legst dann einfach auf? Was ist passiert?«
»Ich, äh …« Darauf habe ich mich nicht vorbereitet. Eigentlich hatte ich das völlig vergessen. »Ich bin verreist und wollte mir …« Was gibt es in Georgia zu sehen? »… einiges ansehen. Und dann war meine Prepaidkarte leer.«
Paige macht einen Schritt nach hinten. Offensichtlich glaubt sie mir nicht, aber sie lässt es vorerst auf sich beruhen und wendet ihre Aufmerksamkeit stattdessen Aren zu, der still an meiner Seite steht und die Hände erneut in die Hosentaschen gesteckt hat.
»Du bist nicht Kyol«, sagt sie. Direkt wie immer, so ist Paige nun mal.
Etwas zuckt über sein Gesicht. »Nein, bin ich nicht.«
Paige sieht mich an. »Ich dachte, wenn du in Begleitung kommst, dann würdest du Kyol mitbringen.«
»Nein. Das ist Aren. Er ist … ein Bekannter.« Ich kann mich nicht dazu durchringen, mehr dazu zu sagen. Doch ich hätte es tun sollen, da ihn Paige jetzt mit neuem Interesse mustert. Ich hätte genauso gut auf die Bühne springen und »Aren ist noch zu haben!« schreien können. Paige ist hübsch und feurig, selbst in dem langen, rosa Satinbrautjungfernkleid. Eigentlich sieht es gar nicht so schlecht aus, und sie kann es zu ihren blonden Haaren, die sie zu chaotischen, aber schicken Zöpfen geflochten hat, sogar tragen.
Aren schweigt. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er die Unterhaltung überhaupt verfolgt. Er sieht mehr durch Paige hindurch, als dass er sie betrachtet, mustert die anderen Hochzeitsgäste und sucht vermutlich nach Kyol und Lena. Es ist Zeitverschwendung. Wäre Kyol alleine gekommen, hätte er vielleicht im Haus nach mir gesucht, aber er ist in Begleitung von Lena, die vermutlich schon ausflippt, wenn sie nur die winzigen Lampen an den Wegen im Garten sieht.
»Wir wollten deiner Schwester gerade gratulieren und dann für eine Weile nach draußen gehen.«
Paige verdreht die Augen. »Amy tanzt. Noch immer. Eigentlich tanzt sie schon den ganzen Abend.« Sie konzentriert sich auf Aren, den ich intelligenterweise als meinen Bekannten bezeichnet habe und nicht etwa als Angebeteten oder gar Freund. »Möchtest du tanzen? Das erspart dir eine Begegnung mit Brautzilla.«
Dafür müsste er die Hände aus den Hosentaschen nehmen, und wenn ein Fae einen Menschen berührt, springt sein Edarratae auf ihn über. Paige könnte den Blitz nicht sehen, aber spüren. Wahrscheinlich würde sie das Prickeln darauf zurückführen, dass die Chemie zwischen ihnen stimmt, und da sie nicht im Geringsten schüchtern ist, würde sie sich vermutlich rasch nach einem Ort umsehen, an dem sie mit Aren alleine sein kann.
»Er hat Angst vor Bakterien«, sprudelt es aus mir heraus.
Paige zieht eine Augenbraue hoch, und ich zucke zusammen. Genau das habe ich auch gesagt, als sie Kyol zum ersten Mal getroffen hat und er ihr nicht die Hand schütteln wollte.
»Mann, McKenzie. Was treibst du eigentlich immer, gehst du zu den Treffen der Zwangsneurotiker, um dir neue Freunde zu suchen?«
Darum hält man mich für verrückt.
»Das ist bloß Zufall«, erwidere ich wenig überzeugend.
Aren entspannt sich ein wenig. Es ist nicht gerade alltäglich für ihn, sich zwischen Menschen und so viel Technologie aufzuhalten. Ich werfe ihm einen Blick zu und erkenne, dass sein Gesichtsausdruck jetzt ebenso unbelastet wirkt wie seine Haltung, fast schon entspannt.
»Er ist hier«, sagt er.
Mein Magen zieht sich zusammen, als ich in die Richtung sehe, in die er blickt. Da ist Kyol, der einen Anzug trägt und Lenas Hand hält. Sie stehen direkt vor der offenen Glastür, die ins Freie führt. Verblüfft stelle ich fest, wie gut sie zusammenpassen. Sie sehen aus wie ein Paar. So habe ich nie gedacht, wenn ich ihn neben Jacia stehen sah. Vielleicht lag das daran, dass ich nie vermutet hätte, sie könnten etwas miteinander haben. Nur eine Fae, die so schön ist wie Lena, kann die perfekte Partnerin für ihn sein, und nicht jemand wie ich, jemand, der so langweilig und menschlich ist.
Hör auf damit, McKenzie. Er ist deinetwegen hier.
Kyol muss bemerkt haben, dass ich neben Aren stehe, aber er lässt den Rebellen nicht aus den Augen. Seine Miene entspricht dem, was ich immer sein »Soldatengesicht« nenne.
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